Erhöht e-voting die Stimmbeteiligung?

Micha Germann, 30. März 2023

In einer langjährigen Versuchsphase wurde die elektronische Stimmabgabe in insgesamt 15 Kantonen getestet, bis der Bund 2019 diese Versuche aus Sicherheitsgründen einstellte. Während die Schweizer Bevölkerung die Einführung von e-voting grossmehrheitlich begrüssen würde, bezweifelt die Politikwissenschaft, dass damit die Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen deutlich erhöht werden könnte. Eine wichtige Ausnahme stellen die AuslandschweizerInnen dar.

Die Wahl- und Stimmbeteiligung in der Schweiz ist vergleichsweise tief. Die elektronische Stimmabgabe über das Internet wird oft als ein Mittel gesehen, wie insbesondere jüngere BürgerInnen vermehrt an die Urne gebracht werden könnten. Unter anderem deshalb führten insgesamt 15 Schweizer Kantone über mehr als 15 Jahre Versuche mit «e-voting» durch. Die langjährige Versuchspraxis ermöglicht ein zumindest vorläufiges Résumé: Liesse sich mit einer permanenten Einführung von e-voting die Wahl- und Stimmbeteiligung in der Schweiz erhöhen?

Die Schweiz als Pionierin

Die Schweiz ist selten «First-Mover». Anders beim e-voting: als eine der ersten politischen Jurisdikitonen weltweit führte der Kanton Genf bereits im Jahr 2003 erste Versuche mit e-voting durch. Ab 2005 gab es weitere Pilotversuche in den Kantonen Neuenburg und Zürich.

Die Pilotversuche in Genf, Neuenburg und Zürich waren zunächst exklusiv auf InlandschweizerInnen ausgerichtet. 2008 stellte dann der Kanton Neuenburg erstmals auch AuslandschweizerInnen e-voting zur Verfügung. Die Idee erwies sich als populär: Über die nächsten zehn Jahre experimentierten mehr als ein Dutzend weitere Kantone mit e-voting für ihre im Ausland lebenden BürgerInnen. Zwischen 2016 und 2019 gab es in den Kantonen Basel-Stadt, Freiburg und St. Gallen zudem weitere Versuche mit IndlandschweizerInnen.

Mitte 2019 war dann aber – zumindest vorläufig – Schluss. Aufgrund von Sicherheitsbedenken hat die Bundesregierung im Juni 2019 alle Versuche vorläufig suspendiert. Der Bund und Kantone arbeiten momentan an einer Neuausrichtung des Versuchsbetriebs. Insgesamt fanden in der Schweiz zwischen 2003 und 2019 mehr als 300 Versuche mit e-voting statt (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Anzahl Versuche mit e-voting in den Schweizer Kantonen

E-voting geniesst bei der Schweizer Bevölkerung eine relativ hohe Zustimmung. So befürworten gemäss einer Umfrage rund 70% der Schweizer Stimmberechtigten die flächendeckende Einführung der elektronischen Stimmabgabe.

Variable Nutzung

E-voting geniesst bei der Schweizer Bevölkerung eine relativ hohe Zustimmung. So befürworten gemäss einer Umfrage rund 70% der Schweizer Stimmberechtigten die flächendeckende Einführung der elektronischen Stimmabgabe. Wird e-voting aber tatsächlich angeboten, ist es gemäss bisheriger Erfahrung zumindest unter den InlandschweizerInnen deutlich weniger populär: In den meisten bisherigen Versuchen wurde der elektronische Stimmkanal nur von 15-20% der an Wahlen oder Abstimmungen teilnehmenden InlandschweizerInnen genutzt (siehe Abbildung 2).

Anders ist die Situation bei den AuslandschweizerInnen: In den meisten Versuchen wurde der elektronische Kanal von 50-70% der teilnehmenden AuslandschweizerInnen genutzt. Nota bene stieg der Anteil elektronischer Stimmen zudem mit der Zeit generell an, was auf eine hohe Akzeptanz schliessen lässt. Diese deutlich höheren Nutzungswerte lassen sich dadurch erklären, dass die Briefwahl für AuslandschweizerInnen oft mit höheren Kosten und Problemen bei der Postzustellung verbunden ist. Wenig überraschend zählt denn auch die Auslandschweizerorganisation (ASO) zu den stärksten Befürwortern des e-votings in der Schweiz.

Übrigens stellt der Kanton Neuenburg bezüglich der Nutzugswerte eine interessante Ausnahme dar, denn dort blieb der Anteil der elektronisch abgegebenen Stimmen und Wahlzettel mit 5-15% gerade auch bei den AuslandschweizerInnen deutlich tiefer als in den anderen Kantonen. Der Grund liegt darin, dass in Neuenburg nur vom e-voting Gebrauch machen konnte, wer sich vorgängig persönlich bei der zuständigen politischen Gemeinde für das kantonale e-government-System eingeschrieben hat. Andere Kantone stellten die notwendigen Zugangsdaten den Stimmberechtigten in der Regel automatisch zu, was das elektronische Wählen und Stimmen signifikant einfacher macht und die Nutzung positiv beeinflusst.

Abbildung 2: Nutzung des e-voting in der Schweiz

Notiz: Daten sind nicht von allen Kantonen erhältlich.

Effekt auf die Stimmbeteiligung

Eine der zentralen Motivationen für die Einführung des e-votings war die Idee, dass e-voting die Stimmabgabe vereinfacht und so zu einer höheren Stimmbeteiligung führt. Gemäss aktuellem Forschungsstand hat sich diese Hoffnung aber nur zum Teil erfüllt.

Politikwissenschafter haben die Einführung des e-votings in der Schweiz von Beginn an eng begleitet und dessen Effekt auf die Stimmbeteiligung in verschiedenen Studien untersucht. Eine erste, eher explorative Studie aus dem Jahr 2006 fand noch Hinweise, dass e-voting die Stimmbeteiligung signifikant erhöhen könnte. In einer neueren Studie, die ich zusammen mit Prof. Uwe Serdült erstellt habe, konnten wir dieses Resultat aber zumindest für InlandschweizerInnen nicht bestätigen. Eine weitere Studie von Forschern an der Universität Genf kam zu einem ähnlichen Schluss. Nota bene gibt es gemäss aktuellem Forschungsstand insbesondere keine Evidenz, dass e-voting spezifisch die Stimmbeteiligung unter jüngeren BürgerInnen erhöhen würde.

Anders verhält es sich wiederum bei den AuslandschweizerInnen. In einer kürzlich erschienen Studie habe ich den Effekt des e-voting auf die Stimmbeteiligung unter AuslandschweizerInnen in insgesamt 8 Kantonen untersucht. Die Studie zeigt, dass die Stimmbeteiligung unter AuslandschweizerInnen um 4-6 Prozentpunkte steigt, wenn diesen die elektronische Stimmabgabe angeboten wird. Ein kürzlich vom statistischen Amt des Kantons Genf publiziertes Papier kam zu einem ähnlichen Schluss. Der Grund für die unterschiedlichen Effekte auf Inland- und AuslandschweizerInnen liegt wohl darin, dass e-voting AuslandschweizerInnen deutlich mehr Vorteile bringt gegenüber der Briefwahl als InlandschweizerInnen.

E-voting – quo vadis?

Die Schweizer Post macht momentan Fortschritte bei ihrer Arbeit an einem neuen, sichereren e-voting-System. Verschiedene Kantone erwägen deshalb eine Wiedereinführung. Hierbei wird wichtig sein, dass sich EntscheidungsträgerInnen nicht von (zumindest gemäss aktuellem Forschungsstand) falschen Hoffnungen leiten lassen, dass e-voting die Stimmbeteiligung unter InlandschweizerInnen erhöhen würde. Jedoch kann mit einer Erhöhung der Stimmbeteiligung von AuslandschweizerInnen gerechnet werden.

Schliesslich wäre wichtig, dass EntscheidungsträgerInnen auch weitere mögliche Vorteile des e-votings miteinbeziehen, denen in der öffentlichen Debatte zuweilen etwas weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird. So belege ich in einer kürzlich erschienenen Studie, dass e-voting unbeabsichtigte Fehler bei der Stimmabgabe verringert und deshalb zu weniger ungültigen und leeren Stimmen führt. E-voting kann also dazu beitragen, dass wirklich «jede Stimme zählt». Zudem weisen Behindertenorganisationen darauf hin, dass e-voting die selbständige Ausübung der politischen Rechte von Menschen mit Behinderungen begünstigt. Sollte in Zukunft ein den Sicherheitsanforderungen des Bundes genügendes e-voting System zur Verfügung stehen, werden EntscheidungsträgerInnen diese und weitere Vorteile sorgfältig mit den Kosten für die Bereitstellung eines dritten Stimmkanals abwägen müssen.

Zitierte Studien


Zum Autor

Micha Germann ist ausserordentlicher Professor in Vergleichender Politikwissenschaft an der Universität Bath im Vereinigten Königreich. Er hat 2017 an der ETH Zürich promoviert und forscht zu politischem Konflikt und demokratischen Innovationen. Twitter: @Micha_Germann

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