Medien: Bund und Kantone müssen gemeinsam handeln

Philippe Flück, 25. März 2022

Föderalismus und Demokratie können nur mit einer robusten und vielfältigen Medienlandschaft wirklich funktionieren. Nachdem das Massnahmenpaket zugunsten der Medien am 13. Februar an der Urne abgelehnt wurde, sollte der Bund rasch eine neue Vorlage aufgleisen. Gleichzeitig sind aber auch die Kantone gefordert, in ihren Zuständigkeitsbereichen geeignete Massnahmen zu ergreifen. In diesem Kontext fand am 10. März zum Thema «Medienpolitik und Föderalismus» der erste Politische Dialog eidgenössische Räte – Kantone (siehe Box unten) statt. Die Veranstaltung bot Gelegenheit, Meinungen und Erfahrungen auszutauschen und Lösungsansätze zu diskutieren.

Rund 30 Vertreterinnen und Vertreter der eidgenössischen Räte und der Kantonsregierungen trafen sich am 10. März im Parlamentsgebäude zu einem Austausch über Medienpolitik und Föderalismus. Mehrfach wurde die Bedeutung der Regionalberichterstattung betont. Die Bevölkerung in allen Landesteilen, vom Jura über Zürich bis hin zu Graubünden, will umfassend informiert werden. Berichte über das lokale Geschehen stärken das politische Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Finden kantonale Besonderheiten keine Erwähnung mehr, droht sich die Zentralisierung in den Köpfen als Selbstverständlichkeit festzusetzen. Es geht nicht nur um politische, sondern auch um soziale, wirtschaftliche und kulturelle Fragen.

Wie die Politologin Rahel Freiburghaus ausführte, übernehmen die Medien im Föderalismus eine doppelte Funktion: Sie ermöglichen den Kantonen, ihre Forderungen auf nationaler Ebene geltend zu machen. Gleichzeitig dienen sie den kantonalen Behörden als Informationskanal gegenüber der Bevölkerung. Da Mittel für eine ausreichende regionale Berichterstattung fehlen, verfügen nicht alle Kantone über dieselben Chancen, sich Gehör zu verschaffen. Ihre Regierungen sind zu einer Kommunikation anhand von Medienmitteilungen gezwungen, die ohne journalistische Gewichtung ungefiltert übernommen werden. Auch das Milizsystem wird dadurch ausgehöhlt: Die lokal gewählten Amtsträgerinnen und Amtsträger sind in den Medien immer weniger sichtbar. Die Anerkennung fehlt und damit auch das Interesse, sich zu engagieren. Durch die sich beschleunigende Konzentration des Angebots entstehen weitere Probleme. Regionen- und grenzübergreifende Themen beispielsweise verschwinden zusehends. Selbst durch das breitere regionale Digitalangebot hat sich die Lokalberichterstattung nicht verstärkt.

Kein Patentrezept

Eine der Ursachen für die aktuelle Medienkrise ist bekannt: Die Werbeumsätze von Kaufzeitungen, die Anfang der 2000er-Jahre noch über eineinhalb Milliarden Franken erreichten, sind bis 2020 auf 321 Millionen gesunken. Wie kann der Journalismus ausreichend finanziert werden? Und wie lässt sich der Trend zur Medienkonzentration und zu einem Rückgang der Medienberichterstattung umkehren? «Es gibt kein Betty-Bossi-Rezept», war zu hören. In der Schweiz mit ihren vier Landessprachen und mehreren mehrsprachigen Kantonen ist es besonders anspruchsvoll, eine Lösung zu finden.

Braucht es eine direkte oder eine indirekte Förderung? Soll sie allgemein oder selektiv erfolgen? Sollen dabei bestimmte Technologien bevorzugt werden? Und sollen die Betriebe selbst oder bestimmte Projekte unterstützt werden? Professor Manuel Puppis, Mitglied der Eidgenössischen Medienkommission, beschrieb die Wege, welche die skandinavischen Länder, Belgien, Frankreich, Österreich, Italien oder die deutschen Bundesländer beschritten haben. In Kanada entschied man sich für ein steuerliches Instrument. Es ist dort beispielsweise möglich, die Kosten für Digitalabonnemente von den Steuern abzuziehen.

Zunehmende Digitalisierung

Die Lösungen müssen den veränderten Lesegewohnheiten Rechnung tragen. Die Zukunft der Printmedien bleibt ungewiss. Welche Stellung werden die gedruckten Zeitungen künftig einnehmen? Eine grosse Mehrheit der jungen Erwachsenen informiert sich in erster Linie auf Newssites und Social Media. Auf der Produktionsseite stehen häufig die Kosten im Vordergrund. Wenn die Mittel fehlen, setzen die Verlage in vielen Fällen ausschliesslich auf das digitale Angebot. Aber wer ist bereit, dafür zu bezahlen, nachdem im Internet lange alles gratis war? Einer Studie von Reuters aus dem Jahr 2021 zufolge nur 17 Prozent der Leserinnen und Leser.

Bevor auf Bundesebene konkrete Massnahmen vorgesehen werden, muss man die Gründe für das «Nein» am 13. Februar kennen. Ein zu umfangreiches Paket könnte erneut Kritik hervorrufen. Bestimmten Anliegen muss Rechnung getragen werden: Konzerne, deren finanzielle Gesundheit nicht gefährdet ist, sollen keine Förderung erhalten. Ausserdem muss die Unabhängigkeit der Medien vom Staat gewahrt werden. Eine staatliche Medienförderung kann aber durchaus so ausgestaltet werden, dass sie mit der Medienfreiheit vereinbar ist. Im Index der Medienfreiheit von Reporter ohne Grenzen finden sich die skandinavischen Länder, die zum Teil eine direkte Medienförderung kennen, an der Spitze. Die Schweiz liegt auf Platz 10.

Finden kantonale Besonderheiten keine Erwähnung mehr, droht sich die Zentralisierung in den Köpfen als Selbstverständlichkeit festzusetzen. Es geht nicht nur um politische, sondern auch um soziale, wirtschaftliche und kulturelle Fragen.

© Philippe Flück

Verschiedene Ideen

Zum heutigen Zeitpunkt ist schwierig zu sagen, wie eine neue Vorlage des Bundes aussehen könnte. Jede Massnahme muss neu geprüft werden. Aus Sicht von Manuel Puppis könnte der Bund kurzfristig die Unterstützungsmassnahmen des Radio- und Fernsehgesetzes fortsetzen. Verschiedene Teile des abgelehnten Medienpakets scheinen nicht umstritten zu sein, namentlich Gelder für Nachrichtenagenturen, breitere Verteilung der Erträge der Radio- und Fernsehabgabe, Unterstützung des Presserats und der Aus- und Weiterbildung.

Auch andere Ideen gewinnen an Boden: So könnten beispielsweise die GAFAM zur Kasse gebeten werden – die Internetgiganten, zu denen die Werbeeinnahmen fliessen und die journalistische Inhalte kostenfrei übernehmen. Könnten Tabus wie das Verbot politischer Werbung in Radio und Fernsehen fallen? Soll in den Hochschulen ein offiziell anerkannter Journalismus-Studiengang eingeführt werden? Solche Überlegungen sollten vertieft zu diskutiert werden.

Auch die Kantone können auf ihrer Ebene handeln. Entsprechende Erfahrungen haben sie bereits gemacht. Sie konnten im Rahmen der wirtschaftlichen Unterstützungsmassnahmen während der Covid-19-Pandemie Hilfe leisten. In Freiburg kauften die Kantonalbank und die Groupe E Aktien der Druckerei St-Paul und der Zeitung La Liberté. Dadurch werden die Entscheide weiterhin im Kanton getroffen.

Rollen definieren und verteilen

Es braucht eine Diskussion über die Rollenverteilung zwischen Bund und Kantonen. Wer soll die Medien hauptsächlich unterstützen und auf welcher Ebene? Die Antworten auf diese Frage fielen am 10. März sehr unterschiedlich aus. Die Kantone sollen zwar handeln können. Ohne Massnahmen des Bundes scheint es aber nicht möglich zu sein, Ungleichheiten zwischen den Regionen zu vermeiden und den nationalen Zusammenhalt zu gewährleisten. Ausserdem soll unter anderem auch in finanzieller Hinsicht sichergestellt werden, dass die Massnahmen umgesetzt werden können.

Die Situation ist nicht in allen Kantonen gleich. Als grosses Ballungs- und Wirtschaftszentrum hat Zürich für seine Medienlandschaft weniger zu befürchten als Uri. Auch die Geografie spielt eine Rolle: Die räumliche Abdeckung der Berichterstattung von Lokalzeitungen folgt nicht immer den Kantongrenzen. In einem solchen Kontext ist eher eine überkantonale Medienförderung gefragt. Die neue Medienpolitik könnte bottom-up von den Kantonen ausgehen, die Massnahmen treffen und vom Bund subsidiär unterstützt werden oder top-down primär vom Bund geregelt werden und die Kantone können sie je nach lokalem Bedarf punktuell ergänzen.

Die Zeit drängt

Früher oder später wird sich die Frage nach einer Revision der Bundesverfassung stellen. Heute darf der Bund nur Radio- und Fernsehveranstalter und – aufgrund einer juristisch abgestützten Erweiterung – Online-Angebote direkt unterstützen. Die Presseförderung erfolgt nur indirekt, beispielsweise über die Postzustellung von Zeitungen. Mit einem neuen Verfassungsartikel wäre eine Politik möglich, die den jüngsten Entwicklungen angepasst ist. Allerdings wird diese Diskussion noch eine Weile dauern. Aber um das Überleben bestimmter kleiner Medien zu sichern, drängt die Zeit.

Deshalb sind die Kantone gefordert, rasch selbst Massnahmen ins Auge zu fassen. Verschiedene Instrumente stehen für sie bereit. Sie können Fonds für die Recherche und Reportage unterstützen, wie es z.B. die Stadt Genf tut, oder innovative Projekte fördern. Sie können aber auch Medienabonnemente für Jugendliche und junge Erwachsene finanzieren. Da die Kantone im Steuerbereich viel Spielraum haben, sind auch Steuerabzüge für Private oder Unternehmen denkbar.

Das Augenmerk richtet sich aber auch auf den Bund. Viele erwarten von ihm, dass er rasch ein neues Medienpaket schnürt und darin insbesondere die Massnahmen übernimmt, die nicht umstritten sind. Die eidgenössischen Räte könnten hier eine entscheidende Rolle spielen: Wenn sich ihre Mitglieder auf Lösungen für die dringendsten Probleme einigen könnten, wäre ein grosser Schritt getan. Dabei sollte der Bund auch die Möglichkeit prüfen, einen rechtlichen Rahmen abzustecken, damit er kantonale Massnahmen mitfinanzieren könnte.

Somit ist jede Ebene des Bundesstaates gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Dialog und Abstimmung sind dabei zentral.

Der Artikel erschien als Fokusbericht im KdK-Newsletter «Standpunkt der Kantone 1/2022» vom 25. März 2022.

Notiz

Der Politische Dialog eidgenössische Räte – Kantone ist eine gemeinsame Initiative des Büros des Ständerats und des Leitenden Ausschusses der KdK. Der Dialog bietet einen Rahmen, in dem sich Mitglieder der eidgenössischen Räte und der Kantonsregierungen aus föderaler Perspektive über aktuelle Themen austauschen können. Dazu wird jeweils ein aktuelles Schwerpunktthema ausgewählt, anhand dessen die Herausforderungen und Vorteile föderaler Politikgestaltung exemplarisch diskutiert werden können. Der Erfahrungs- und Meinungsaustausch soll zu einem gemeinsamen Verständnis von möglichen Lösungen und einer kohärenten Aufgabenteilung im jeweiligen Politikbereich beitragen. Dadurch kann der Dialog einen konkreten Nutzen für die Entwicklung der Schweiz in wichtigen Bereichen leisten.


Zum Autor

Philippe Flück ist Kommunikationsbeauftragter bei der Konferenz der Kantonsregierungen. Er hat an der Universität Genf ein Lizenziat in Politikwissenschaft erworben und war zunächst als Journalist tätig. Er arbeitete insbesondere als Bundeshausredaktor für die SDA.

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