Der Schweizer Medienföderalismus im Check

Alexander Arens, 10. Mai 2022

Die SRG und einzelne Pressetitel auf nationaler Ebene – ein breites journalistisches Angebot in den Sprachregionen. Dieser Zweiklang ist einem gelebten Föderalismus dienlich. Bei genauem Blick auf die Schweizer Medienlandschaft zeigen sich jedoch Risse.

Ein regional vielfältiger Medienplatz ist wichtig für einen funktionierenden Föderalismus: So finden die Kantone und Gemeinden ihre Themen in den Medien wieder; so spielt die «Vierte Gewalt» in den Regionen; und so werden auf Bundesebene auch kantonale Positionen gehört.

Gleichzeitig sind im Föderalismus auch nationale Medienplattformen wichtig: für den politischen Diskurs, aber auch für die Kohäsion. Im Idealfall bestehen parallel zur Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene je verschiedene Medienangebote. Wie stark aber lässt sich dieses mögliche Ideal in der Schweiz ausmachen?

Regionalmedien: Bröckelnde Vielfalt

Die Kleinstaatlichkeit und Mehrsprachigkeit haben weitreichende Auswirkungen auf die Schweizer Medienlandschaft: Durch die Sprachregionen ist der kleine Markt weiter zersplittert, wie die Abbildung unten zeigt. Die für die Medienproduktion zur Verfügung stehenden Ressourcen sind entsprechend knapp. Ebenso sind Programme und Nachrichten aus dem Ausland vergleichsweise präsent.

Der fragmentierte Schweizer Medienmarkt, 2020

Anmerkung: Die Abbildung zeigt den fragmentierten Schweizer Medienmarkt. In der jeweiligen Infobox finden sich Detailinformationen zur Meinungsmacht, der Marktmacht und der Markenleistung in der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz.

Quelle: Publicom (2021: 82-118).

Zwar lässt sich innerhalb der Sprachregionen eine Vielfalt medialer Produkte erkennen. Jedoch sind Konzentrationsprozesse im Gange. Das Bundesamt für Kommunikation BAKOM zählt rund 70 Pressetitel, die seit 2000 verschwunden sind.1

Erklärung dafür liefert die Finanzierungskrise im Journalismus: In den vergangenen 20 Jahren haben sich die Werbeeinnahmen von Presse, Radio und Fernsehen mehr als halbiert.2 Besonders betroffen ist die Tages-, regionale Wochen- und Sonntagspresse: Anfang der 2000er-Jahre lagen ihre Werbeeinnahmen noch bei fast zwei Milliarden Schweizer Franken, 2020 sind es weniger als 500 Millionen. Auch Online-Werbung mag dies nicht substanziell aufzustocken. Die Wissenschaft spricht hier von einer dramatischen Entwicklung.3

Gemäss Zahlen für die Deutschschweiz steigt in den vergangenen Jahren die inhaltliche Konzentration bei den verbleibenden Medien: Der Anteil der in mehreren Zeitungen erschienenen Artikel lag 2020 bei 25 Prozent, in der wichtigen Politikberichterstattung gar bei 29 Prozent.4 Das Problem ist zwar bei der regionalen Berichterstattung weniger akzentuiert als der nationalen und internationalen. Dies könnte sich aber schnell ändern, wie etwa die Entwicklungen im Raum Bern zeigen, wo Bund und Berner Zeitung (TX Group) 2021 vollständig fusioniert wurden.

Zwar noch genauer zu untersuchen, jedoch erscheint eine inhaltliche Konzentration auch in der französischsprachigen Schweiz nicht abwegig. Beispiele könnten 24 heures und Tribune de Genève (TX Group) oder die Kooperation zwischen La Liberté (St-Paul), Le Nouvelliste, La Côte und Arcinfo (ESH Médias) sein.

Finanzierungskrise, wegbrechende Titel und inhaltliche Konzentration – für die Zukunft des Lokal- und Regionaljournalismus lässt dies nichts Gutes erahnen.

Nationale Medien: Die SRG, 20 Minuten, und sonst?

Weiterhin ist es die SRG, die gesamtschweizerisch die stärkste Stellung punkto Reichweite und Wirtschaftskraft hat.5 Landesweit ist ansonsten vor allem das ebenfalls starke 20 Minuten (TX Group) präsent, welches aber, genauso wie die SRG, sprachregional unterteilt ist. Inwiefern diese beiden, genauso wie die neu auch in der französischsprachigen Schweiz aktiven Blick (Ringier) und watson.ch (AZ Medien), eine gesamtschweizerische Öffentlichkeit schaffen, bleibt fraglich. Als Leitmedien gelten vielmehr die Neue Zürcher Zeitung (NZZ-Mediengruppe) und Le Temps (Ringier), die aber nur eine Sprachregion bedienen.6

Es steht ausser Frage, dass die Schweizer Medien aufgrund sprachlicher Hindernisse in den jeweiligen Landesteilen verhaftet bleiben; auch trotz Zusammenarbeit und Büros in unterschiedlichen Sprachregionen. Beispielsweise ist nicht davon auszugehen, dass viele Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer RTS, RSI und RTR schauen und hören. Mit Blick auf deutlich stärker getrennte Systeme wie jenes in Belgien erscheinen aber zusätzliche, die Sprachgrenzen überwindende Programme wünschenswert. In diesem Sinne wurde zuletzt der viersprachige SRG-Streamingdienst Play Suisse (Filme, Serien, Dokumentationen) lanciert. Durch dieses Engagement steht das Angebot auf der Shortlist zum Föderalismuspreis 2022.

Abgeschwächter Parallelismus

Zentralisierungsdruck erfährt nicht bloss die Politik der Kantone. Einem solchen sind – wie oben ausgeführt – auch die Medien und deren Vielfalt ausgesetzt. Gleichzeitig spiegeln sich Politik und Medien auf Bundesebene nur bedingt: Es erscheint mehr als fraglich, ob es den Medien gelingt, eine landesweite Öffentlichkeit herzustellen und so auch zur Kohäsion beizutragen.

Medienförderung kann insbesondere beim Vielfaltsverlust Abhilfe schaffen und erfährt in der Schweiz weiterhin grundlegende Unterstützung wie die Nachabstimmungsbefragung von 20 Minuten/Tamedia zeigt.7 Zwar nicht in jenem Mix, wie am 13. Februar 2022 an der Urne verworfen. Jedoch ist die erneute Diskussion lanciert. So wurde bei einer Dialogveranstaltung der eidgenössischen Räte und der Kantone vom 10. März 2022 bereits klar: Der Ball liegt bei beiden, Bund und Kantonen. Im Bund könnte ein rechtlicher Rahmen durch das Parlament sinnvoll sein, der auch die Mitfinanzierung kantonaler Massnahmen ermöglicht. Vereinzelt bereits in Anwendung, können die Kantone ihrerseits mit kreativen, eigenen Lösungen Medienförderung betreiben.

Referenzen

1 Bundesamt für Kommunikation BAKOM (2021). Faktenblatt 9 zum Massnahmenpaket zugunsten der Medien – Dezember 2021: Eingestellte einheimische Zeitungstitel. Schweizerische Eidgenossenschaft.

2 Bundeskanzlei (2021). Erläuterungen des Bundesrates – Volksabstimmung vom 13.02.2022. Schweizerische Eidgenossenschaft, S. 47.

3 Vogler, D. und M. Rivière (2021). XI. Finanzierung der Informationsmedien. In fög – Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (Hrsg.), Jahrbuch Qualität der Medien 2021. Schwabe Verlag (S. 125–131 [S. 127–129]).

4 Vogler, D. und D. Siegen (2021). XII. Medienkonzentration. In fög – Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft, Jahrbuch Qualität der Medien 2021. Schwabe Verlag (S. 133–140).

5 Publicom (2021). Medienmonitor Schweiz 2020. Bericht. Publicom AG, S. 53, 79.

6https://www.mqr-schweiz.ch/de/mqr-20-de/tages-und-onlinezeitung/neue-zuercher-zeitung.html; https://www.mqr-schweiz.ch/de/mqr-20-de/tages-und-onlinezeitung/le-temps.html (zuletzt geöffnet am 8. Februar 2022).

7 Tamedia/20 Minuten (2022). Ergebnisse 20 Minuten-/Tamedia-Umfrage zur eidgenössischen Abstimmung vom 13. Februar 2022 (Vollständiger Bericht). LeeWas GmbH, S. 45.


Zum Autor

Alexander Arens ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der ch Stiftung. Er hat am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern promoviert.

Top