«Die Aushöhlung des Milizsystems könnte weiter voranschreiten»

Interview: Alexander Arens, 14. Februar 2022

Das «Bundesgesetz über ein Massnahmenpaket zugunsten der Medien» wurde bei der Abstimmung vom 13. Februar 2022 mit 55 Prozent verworfen. Negative Entwicklungen in den Regionen dürften sich dadurch verschärfen, sagt Föderalismusexpertin Rahel Freiburghaus. Gleichzeitig sieht sie in Sachen Medienförderung auch neue Gestaltungsmöglichkeiten für die Kantone.

ch Stiftung: Wieso betrifft das Thema Medien und Medienförderung auch die Kantone?

Rahel Freiburghaus: Weil in unserem föderalen System auch lokale und regionale Perspektiven Wiederhall in der medialen Berichterstattung finden sollten. Darüber hinaus sind lokale und regionale Medien auch Sprachrohr der Politik: Hier können die kantonalen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger ihre Vorhaben gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern erklären sowie Position gegenüber dem Bund beziehen. Regionale Medien sind heute ein bedeutsames Instrument der kantonalen Interessenvertretung; sie helfen den Kantonsregierungen dabei, sich gegenüber den Bundesbehörden Gehör zu verschaffen.

Zuletzt, und dies ist nicht zu unterschätzen, braucht es natürlich auch bei lokalen und regionalen Angelegenheiten die sogenannte «Vierte Gewalt», also die Kontrolle durch die Medien. Hier gibt es Studien aus dem Ausland, die beispielsweise aufzeigen, dass sich Behörden eher verschulden, falls die mediale Kontrolle wegbricht.

Wie haben sich die Kantone im Abstimmungskampf zum Medienpaket verhalten, waren sie doch, auch gemäss Ihrer Beschreibung, direkt betroffen?

Mit Blick auf die offiziellen Stellungnahmen der Kantone, kann man sagen, dass sie vergleichsweise zurückhaltend waren. Auffällig ist aber, dass sich mit dem Tessin, Neuenburg und Jura Kantone aus der italienisch- und französischsprachigen Schweiz, mit Fribourg/Freiburg und Graubünden zudem mehrsprachige Kantone für das Medienpaket ausgesprochen haben. Bei all diesen Kantonen handelt es sich ausserdem um solche, die doch relativ weit weg sind vom landesweit bedeutendsten Medienplatz, jenem in Zürich.

«Ohne lokale und regionale Medien leidet die Lebendigkeit der kleinräumigen Demokratie, die Föderalismus ja gerade ausmacht. Die Rekrutierung für politische Ämter dürfte noch schwieriger werden.»

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Die vorgeschlagenen Fördermassnahmen zugunsten der Medien wurden an der Urne mit 55 Prozent abgelehnt, nur ein Viertel der Stände hat zugestimmt. Welche Folgen könnten sich daraus für Gemeinden und Kantone ergeben?

Zunächst wird sich der Medienwandel wohl akzentuieren, der Regional- und Lokaljournalismus weiter leiden. Und gemäss einer Studie von Prof. Daniel Kübler (IPZ Universität Zürich, Zentrum für Demokratie Aarau ZDA) führt ein angezählter Lokaljournalismus dazu, dass die Menschen den Gemeinde- und Stadtratswahlen vermehrt fernbleiben. Ähnlich, und dies scheint mir ein enorm wichtiger Punkt, könnte die Aushöhlung des Milizsystems mit ausbleibender Medienförderung weiter voranschreiten. Ohne lokale und regionale Medien leidet die Lebendigkeit der kleinräumigen Demokratie, die Föderalismus ja gerade ausmacht. Die Rekrutierung für politische Ämter dürfte noch schwieriger werden.

Durchaus denkbar ist überdies, dass auch in der Schweiz Budgets vermehrt überschritten werden, wenn die lokale und regionale Presse hier nicht mehr den Scheinwerfer draufhält. Solche und ähnliche Effekte legen besagte internationale Studien nahe. Der jüngst aufgedeckte Spesenskandal im Berner Oberland ist eine Art Fanal.

Sie sagten eingangs, dass lokale und regionale Medien auch für die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger wichtig seien, um Politik zu vermitteln. Welche Entwicklung erwarten Sie hier?

Ich erinnere mich an einen Ausspruch des Berner Volkswirtschaftsdirektors Christoph Ammann, der an einer Tagung zum Medienwandel einmal Folgendes sagte: «Wenn früher ein Regierungsrat im Berner Rathaus sprach, waren alle Plätze auf der Pressetribüne belegt. Heute sind die Plätze weniger beliebt als YB-Tickets in den 90er-Jahren.» Im Ernst, Kantone sind auf lebendige Medien angewiesen. Kranken und ächzen diese unter der Finanzierungskrise, sollte ihnen der Staat mit geeigneten Formen direkter und indirekter Medienförderung unter die Arme greifen – und zwar mittels von Geschäftsmodell und Technologie unabhängiger Medienförderung.

Ebenso können neue innovative Wege beschritten werden, wie ein Instagram-Kanal des Kantons Bern oder der Public Newsroom des Kantons Glarus verdeutlichen. Bei diesen Kanälen abseits von klassischen Medien ist es aber für die Bürgerinnen und Bürger oft schwieriger, zwischen nüchterner Behördenkommunikation und Behörden-PR zu unterscheiden. Das Dilemma ist also Folgendes: Entweder wird der Journalismus mit öffentlichen Geldern gebührend unterstützt – oder man lässt weiterhin zu, dass die Kantone mit öffentlichen Geldern eigene Kommunikationsabteilungen aufbauen.

Wie geht es jetzt weiter mit den politischen Rahmenbedingungen der Medien? Wer ist am Zug: Bund oder Kantone?

Meiner Meinung nach gibt es hier kein Entweder-oder. Avenir Suisse hat in einem kürzlich erschienenen Beitrag beispielsweise auf die Gemeinde Teufen (AR) hingewiesen, die mit einem gewichtigen Betrag die ansässige lokale Zeitung unterstützt. Auf kantonaler Ebene ist etwa die Medienförderung mittels Stiftungen zu nennen, wie sie im Kanton Graubünden erprobt wird. Auch der Kanton Waadt ist in der Diskussion zur Medienförderung schon sehr weit und im Kanton Bern wurde gerade vor Kurzem die Vernehmlassung zum Informationsgesetz abgeschlossen. Dabei wurden auch kreative Lösungen wie Mediengutscheine für Jugendliche beleuchtet. Das föderale Labor spielt hier bereits bis zu einem gewissen Grad und es sollte in Zukunft noch stärker genutzt werden.

Das übergeordnete Problem beim Medienthema im Generellen aber scheint mir zu sein, dass die Diskussion oft sehr verkürzt und oberflächlich geführt wird. Was meiner Meinung nach fehlt, ist das Aufzeigen der genannten oder weiteren kreativen und innovativen Lösungen, die in den Gemeinden und Kantonen diskutiert oder bereits erprobt werden.

So wären wir auch wieder beim Bund: Wie geht es hier weiter?

Dieser, insbesondere das Bundesparlament, steht nun in der Pflicht. Der Bund müsste meiner Meinung nach den rechtlichen Rahmen abstecken; inhaltlich aber nur minimalste, übergeordnete Vorgaben treffen, um die journalistische Freiheit vollends zu wahren. Zudem sollte er sich an der Finanzierung der Medienförderung beteiligen, ganz besonders bei kreativen, innovativen und technologieoffenen Lösungen. So hat beispielsweise der Berner Regierungsrat im Rahmen der besagten Vernehmlassung angedeutet, dass die diskutierten Medienförderungsmassnahmen, wie beispielsweise Mediengutscheine für Jugendliche, zurzeit kaum aus kantonaler Tasche finanziert werden könnten, weil die Finanzlage aufgrund der Coronakrise angespannt sei. Gerade übergangsmässig müssen also finanzielle Mittel des Bundes helfen.

Grenzüberschreitende Fragen im Zusammenhang mit der Regulierung von Plattformgiganten können selbstverständlich nicht durch die Kantone, sondern nur durch den Bund beziehungsweise auf supranationaler Ebene gelöst werden. Zusammengefasst: Bund und Kantone sind gefordert. Insbesondere in der Vermittlung und öffentlichen Sensibilisierung besteht viel Potenzial. Hier braucht es meiner Meinung nach gar nicht nur den Blick auf ausländische, vor allem skandinavische Modelle der Medienförderung. Noch wirkungsvoller könnte es vielmehr sein, aktiv die inländische Innovationskraft der Gemeinden und Kantone aufzuzeigen.


Zur Person

Rahel Freiburghaus (MA Schweizer und Vergleichende Politik) arbeitet als Doktorandin und Assistent am Lehrstuhl für Schweizer Politik am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern. Ihr von Prof. Adrian Vatter betreutes Dissertationsprojekt steht unter dem Arbeitstitel «Lobbyierende Kantone? Interessenvertretung und Einflussnahme der Kantonsregierungen auf den bundespolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess». Es betrachtet unterschiedliche Wege, Strategien und Kanäle, wie die Kantonsregierungen auf die Bundespolitik einwirken – darunter auch die Frage, wie die Kantonsregierungen (regionale) Medien als Sprachrohr nutzen. Ihre bisherige Forschung, welche die föderale Schweizer Demokratie in komparativer und langfristiger Perspektive untersucht, wurde in internationalen Fachzeitschriften, diversen Sammelbänden und breit gelesenen Magazinen bzw. Zeitungen publiziert. Darüber hinaus engagiert sich Rahel Freiburghaus zugunsten der generationen- und publikumsübergreifen Vermittlung des Schweizer Föderalismus, wovon etwa ihre universitäre Lehrtätigkeit zu dessen Reformbedarf und möglichen Reformansätzen zeugt.

rahel.freiburghaus(at)unibe.ch

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