Politische Übersetzung oder die Kunst, zwischen den Zeilen zu lesen
Sprachendienst der ch Stiftung und der Konferenz der Kantonsregierungen,
10. November 2025
In der Schweiz spielt institutionelle Übersetzung eine zentrale Rolle in der politischen Kommunikation. Es gilt nicht nur, Texte in eine andere Sprache zu übertragen, sondern auch politische und kulturelle Nuancen zu berücksichtigen – KI-Übersetzungstools stossen hier an Grenzen. Ein Bericht aus der Praxis unseres Sprachendienstes.
Beim Übersetzen geht es im Wesentlichen darum, Texte in einer anderen Sprache verständlich zu machen, die meist auf anderen Regeln und Grundsätzen als die Ausgangssprache beruht. Das gilt besonders für institutionelle Übersetzungen, bei denen jedes Wort zählt. Im Bundesstaat Schweiz mit seinen vier Landessprachen ist es mehr als selbstverständlich, dass der politische Diskurs übersetzt wird – es ist eine Notwendigkeit. Nicht nur für den Zusammenhalt, sondern auch, um Mehrheiten zu gewinnen oder die Bevölkerung von seinen Ideen zu überzeugen.
Der Erhalt der (sprachlichen) Vielfalt und der Verständigung in der Schweiz ist Kernanliegen der von allen Kantonen 1967 gemeinsam gegründeten ch Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit. Auch die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) entstand durch den politischen Willen der Kantone und dient der Wahrnehmung ihrer Interessen. Als Plattform für die Meinungsbildung ermöglicht die KdK den Kantonen, sich abgestimmt in die Bundespolitik einzubringen. Aber um sich abstimmen zu können, muss man sich wirklich verstehen. Hier kommt dem vierköpfigen Sprachendienst eine zentrale Rolle zu: Dank ihm kann sich jeder Kanton in der eigenen Sprache über politische Themen, aber auch über die Position der übrigen Kantone informieren. Die Übersetzerin oder der Übersetzer wird zum Vermittler von Bedeutung: Sie oder er muss einen Inhalt getreu übertragen, sich dabei zurücknehmen und Implizites und Subjektivität vermeiden.
Übersetzen im institutionellen Kontext
Was versteht man eigentlich unter institutioneller oder politischer Übersetzung? Bei der KdK geht es um Fachtexte (Stellungnahmen, Medienmitteilungen, Sprechnotizen usw.), die für die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger bestimmt sind. Der Sprachendienst ist ausschliesslich für diese tätig und Bindeglied zwischen der fachlichen und der politischen Ebene. Unsere Kolleginnen und Kollegen bereiten die Geschäfte, Beschlüsse und Prozesse vor, die sie den Kantonsregierungen oder Arbeitsgruppen mit kantonalen Vertreterinnen und Vertretern unterbreiten. Wir übersetzen diese Dokumente, damit sie darüber beraten und entscheiden können.
Die Texte sind äusserst vielfältig. Zunächst in Bezug auf die Themen, da sie das aktuelle politische Geschehen zum Ausdruck bringen. Dann in Bezug auf die Adressaten, denn die KdK bildet die Schnittstelle zwischen den Kantonen, der Bundesebene, der Zivilgesellschaft und der breiten Öffentlichkeit. Auch die Art der Texte ist unterschiedlich: Es sind Medienmitteilungen, Briefe, Berichte, Umfragen. Und schliesslich die Reichweite. Die Dokumente können Beziehungen unter den Kantonen, Beziehungen mit dem Bund oder den Medien oder Beziehungen zwischen den interkantonalen Konferenzen betreffen.
Übersetzen – aber wie?
Übersetzen ist ein Balanceakt zwischen der Suche nach der treffendsten Formulierung und Treue zum Original. Im Sprachendienst müssen wir besonders darauf achten, nicht auf die eine oder andere Seite zu kippen. Im Gegensatz zu reinen Fachtexten (Bericht, Studie usw.) besteht die Schwierigkeit bei Texten der institutionellen Übersetzung darin, dass die Worte eine starke kulturelle Dimension besitzen und Träger von Bildern sein können – so wie beim journalistischen oder literarischen Stil. Der Ausdruck éducation à la citoyenneté etwa wird im Deutschen nicht mit staatsbürgerliche Bildung wiedergegeben, sondern mit politische Bildung. Die politische Bedeutung der gewählten Begriffe ist für Bevölkerung und Kantone sehr konkret. Das gilt besonders im Fall von Abstimmungen oder Stellungnahmen der Plenarversammlung der KdK. Ein grosser Teil der Texte, die wir übersetzen, nimmt die Kantonsregierungen in die Pflicht. In einem internationaleren Kontext, beispielsweise bei den Verhandlungen Schweiz-EU und den bilateralen Abkommen, ist es praktisch unmöglich, bei der Übersetzung nicht auf die Dokumentation der Bundesverwaltung (EDA usw.) oder der Europäischen Union zurückzugreifen. Hier gilt es, klar zu unterscheiden zwischen einer Verordnung (règlement) und einer Richtlinie (directive) und die rechtliche und politische Bedeutung der einzelnen Begriffe genau zu kennen.
Eine weitere Herausforderung: Weil es das Ziel der KdK ist, die politischen Haltungen der 26 Kantone zu vereinen, sind die kulturellen Nuancen beim Übersetzen stets mitzubedenken. Es gibt deutliche kulturelle Unterschiede – der berühmte Röstigraben ist ein Beispiel, zu dem oft noch der Graben zwischen ländlichen, städtischen und Gebirgskantonen hinzukommt. Daher müssen wir darauf bedacht sein, dass wir mit der Wahl unserer Sprache sowohl die Position der Kantone abbilden als auch die Unterstützung aller gewinnen – ein schwieriger Spagat.
Einige Begriffe bereiten uns zuweilen Kopfschmerzen. So der Kantönligeist, der die Spannung zwischen kantonaler Souveränität und bundesstaatlicher Einheit illustriert. Wir haben beschlossen, diesen Begriff im Französischen mit «esprit de clocher» (Kirchturmdenken) zu übersetzen, obwohl dieser eher zu einem Dorf als zu einem Kanton passt. Übersetzen erfordert häufig Kompromisse.
Ist die Übersetzertätigkeit bedroht?
Für eine qualitativ hochstehende Übersetzung braucht es ein gutes Verständnis der Eigenheiten und der historischen und kulturellen Bezüge der jeweiligen Sprachräume. Bei politischen Übersetzungen ist das besonders wichtig. Diese Voraussetzung scheint auf den ersten Blick selbstverständlich. Aber gerade jetzt, wo die generative künstliche Intelligenz vorgibt, alles übersetzen zu können, ist sie wieder in Erinnerung zu rufen. Die KI kann zwar riesige Datenmengen verarbeiten, kennt aber die Nuancen des Schweizer Föderalismus nicht ... Die KdK und die ch Stiftung können sich daher auf ihren Sprachendienst verlassen, der die Beiträge der politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zuverlässig in die verschiedenen Landessprachen überträgt.
Der Sprachendienst
Der Sprachendienst der ch Stiftung und der Konferenz der Kantonsregierungen besteht aus vier Personen, die sich 300 Stellenprozente teilen. Er übersetzt Texte vom Deutschen ins Französische. Übersetzungen ins Deutsche, Italienische, Rätoromanische und bei Bedarf ins Englische werden von externen Kolleginnen und Kollegen angefertigt, mit denen der Sprachendienst seit vielen Jahren zusammenarbeitet. Hinzu kommen Sprachdienstleistungen für weitere interkantonale Konferenzen mit Sitz im Haus der Kantone.
