Kulturvermittlung: ein Beitrag zum inneren Zusammenhalt

Ulrich Gut und Marco Baschera, ch-intercultur, 2. März 2023

Im Wandel der Medienlandschaft und der Informationsgewohnheiten müssen auch für Kulturberichterstattung und Kulturkritik neue Wege gefunden werden. Für die Schweiz ist besonders wichtig, dadurch das Interesse am Kulturschaffen zwischen den Landesteilen und Sprachregionen zu erhalten und zu fördern.

Kulturaffine Menschen in der deutschsprachigen Schweiz begeistern sich für das Kulturleben in Städten wie München, Berlin, Wien oder Salzburg; in der Romandie für dasjenige in Paris, Lyon, Bordeaux oder Nizza; in der italienischsprachigen Schweiz richtet sich die Aufmerksamkeit etwa nach Mailand, Florenz, Rom oder Neapel. Aber wie steht es um das Wecken des Interesses am Kulturleben in den anderen Landesteilen? Gern besucht man zum Beispiel als Deutschschweizerin und Deutschschweizer eine Kunstausstellung in Basel, Bern oder Chur, ein Konzert in Luzern, eine Theateraufführung in St. Gallen – das Kulturleben in der Westschweiz und im Tessin wären ebenso interessant, aber wer macht es bekannt? Wer weckt das Interesse, wenigstens bei denen, die sich solche Erlebnisse sprachlich zutrauen würden?

Eine nationale Kulturplattform für die Schweiz

Die Tages- und Wochenmedien berichten nur selten über das Kulturschaffen in den anderen Sprachregionen. Einige haben erfreulicherweise Korrespondentinnen und Korrespondenten, die über die Sprachgrenzen hinweg über das politische Leben berichten, aber keine für die Kultur. Denn leider rechnen Redaktionsleitungen nicht mit einem grossen Interesse bei ihren Leserinnen und Lesern für das kulturelle Leben jenseits der Sprachgrenzen. Dieses kann und muss aber gefördert werden.

In Zeiten, in denen die vier Sprachregionen mangels Sprachkenntnissen immer mehr auseinanderdriften und wo sich das globale Englisch als Lingua franca zwischen die vier Landessprachen schiebt, wäre deshalb eine nationale Kulturplattform von grosser Bedeutung. Auf ihr könnten der Dialog zwischen den Kulturschaffenden der Schweiz gefördert und nationale und internationale Themen aus einer schweizerischen Sicht diskutiert werden. Vorbildhaft ist Viceversa Literatur, ein Online-Medium, das von kompetenten Literaturkritikerinnen und -kritikern verfasste Rezensionen schweizerischer Neuerscheinungen in allen vier Landessprachen anbietet. Die Verbreitung dieses Mediums, das durch einen Bundesbeitrag finanziell unterstützt wird, ist in hohem Masse förderungswürdig.

Als Medium für alle Kultursparten hat ch-intercultur das Modell «Kultur Online» entwickelt und bemüht sich derzeit um die Finanzierung eines Pilotversuchs.

Nischenangebote im Web

Das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich widmete 2021 der Kulturberichterstattung eine Vertiefungsstudie. Ein Auszug aus den Hauptbefunden des Jahrbuchs Qualität der Medien 2021 bestätigt den Handlungsbedarf: «Das Web bietet Kulturinteressierten einen grossen Fundus an Kulturinformationen. Es handelt sich aber in der Regel um Nischenangebote, die mehrheitlich von Verbänden betrieben werden, sprich Partikularinteressen verfolgen. Sie können somit unabhängige journalistische Medien nicht ersetzen, wenn es um die Erreichung eines breiten Publikums und die Vielfalt an Berichterstattungsformen geht.»

Die Eröffnung der Plateforme 10 zwischen Juni und September 2022 zog rund 150.000 Besucherinnen und Besucher an. Das Kunstquartier in Lausanne wurde dank der Unterstützung des Kantons Waadt ins Leben gerufen. Es umfasst drei kantonale Museen und ist ein Beispiel behördlichen Engagements bei kulturellen Grossprojekten.

© Plateforme 10, Emmanuel Denis

Erwachende Handlungsbereitschaft in Kantonen

Erfreulicherweise haben sich bereits Kantone entschlossen, die Auswirkungen der Medienkonzentration und des Rückgangs journalistischer Kapazitäten nicht mehr tatenlos hinzunehmen. Dabei konzentrieren sie ihre Anstrengungen verständlicherweise primär auf die Versorgung innerhalb ihres Kantons, im Interesse der kantonalen und kommunalen Demokratie.

Dies kann auch dem Kulturschaffen zugutekommen, das auf mediale Vermittlung und auf die Resonanz einer kompetenten Kulturkritik angewiesen ist. Hierzu der Autor Guy Krneta: «Ich wünsche mir eine Kulturberichterstattung, die erkennen, beschreiben, kritisieren, vergleichen, vermitteln kann, mit Neugier und Sendungsbewusstsein, über die eigene enge Bubble hinaus.»

Kulturberichterstattung über Kantons- und Sprachgrenzen hinweg

Es ist aber auch im Interesse kantonaler Kulturpolitik, zur Ausstrahlung des Kulturschaffens über die Kantonsgrenzen hinweg beizutragen. Dies erfordert wohl eine interkantonale medienpolitische Zusammenarbeit. Für den nationalen Zusammenhalt ist wichtig, auch die Grenzen der Sprachregionen zu überschreiten. Die ch Stiftung und die Konferenz der kantonalen Kulturbeauftragten wären fähig, hierzu Initiativen zu ergreifen und katalysatorische Dienste zu leisten, und die Kulturpolitik des Bundes müsste dies unterstützen.

Der Verein ch-intercultur setzt sich gemeinsam mit Organisationen Kulturschaffender mit einem Manifest dafür ein, dass mediale Kulturvermittlung und Kulturkritik in die Kulturbotschaft 2025 Eingang finden.

Kulturvermittlung durch Bestehendes und Neues

Kulturberichterstattung und Kulturkritik können durch Förderung der journalistischen Arbeit traditioneller Medien, aber auch neuer Internetangebote gestärkt werden. Es lohnt sich unbedingt, diese vielversprechenden Angebote zu beobachten und zu unterstützen: Dabei handelt es sich sowohl um neue Medien mit breitem Themenspektrum wie zum Beispiel bajour, tsüri  und kultz, deren Kulturressort zu stärken ist, als auch um spezialisierte Kulturplattformen, deren Verbreitung zu fördern ist.

Über ch-intercultur

Verein zur Förderung der Kulturinformation, der Verbreitung von Kulturkritik und der interkulturellen Verständigung, innerhalb der Sprachregionen und über ihre Grenzen hinweg. Gegründet 1939 als «Schweizer Feuilleton-Dienst». Bis 2020 in Zusammenarbeit mit Keystone-SDA kulturelle Medienagentur.

www.ch-intercultur.ch

Zu den Autoren

Ulrich Gut, Dr. iur., Präsident von ch-intercultur und zweier weiterer NGO’s, Publizist (PolitReflex), vormals Chefredaktor einer Zürcher Regionalzeitung.

Marco Baschera, Mitglied des Vorstandsausschusses von ch-intercultur und Präsident der Oertli-Stiftung, Titularprof. em. für Moderne Französische Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, u.a. Autor von «La République des Traducteurs» (mit Constantin Bobas), Autor bei Viceversa Literatur.

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