Medien im Föderalismus – ein integraler Bestandteil
Alexander Arens, 15. Februar 2022
Was genau vermögen Medien in föderalen Systemen zu leisten? Wie stellt sich der Abgleich zwischen Theorie und Praxis dar? Und welche neueren Entwicklungen gilt es weiter zu beobachten? Der Versuch einer Verortung.
Föderalismus lebt davon, dass nicht bloss das politische System1, sondern auch der öffentliche Raum föderal ausgestaltet ist. Dabei ist die Rolle von Parteien wenig bestritten: Sie können entscheidend zur Politik im Mehrebenensystem beitragen, beispielsweise durch eine Verankerung in allen Landesteilen sowie eine Organisation, die Sektionen einer Partei Mitsprache innerhalb der nationalen Parteigremien ermöglichen.2 Im Unterschied dazu fristen Medien im Föderalismusdiskurs ein Schattendasein.
Mediales Mehrebenensystem
Im Zentrum von Mediensystemen standen bis anhin universelle, aktuelle Medien wie die Tagespresse oder die öffentlich finanzierten Medien3: «Sie haben die politischen Räume wie auch die gesellschaftlichen Machtgruppen repräsentiert.»4 Dabei haben sich die Medien- parallel zu den Politsystemen entwickelt, Stichwort «politischer Parallelismus».5 In föderalen Staaten bedeutet dies: Während lokale und regionale Medien Teilöffentlichkeiten bilden, so stellen nationale Medien und Leitmedien gesamtgesellschaftliche Öffentlichkeit her.6,7
Dabei sind die medialen Vermittlungsleistungen8 in föderalen Staaten besonders komplex: Sie verlaufen zwischen Bevölkerung und Politik und dabei innerhalb und zwischen den Regionen (in horizontaler Richtung) ebenso wie zwischen den Ebenen (in vertikaler Richtung).9 Drei mediale Rollen können unterschieden werden:10
- Nationale Medien und Leitmedien bilden insbesondere die nationale Politik ab, richten dabei den Blick aber auch in die Gemeinden und Regionen. Ein Beispiel könnte das öffentlich finanzierte Medienhaus SRG SSR darstellen.11
- Lokale und regionale Medien vermitteln zwischen der jeweiligen Bevölkerung und der lokalen und regionalen Politik. Neben den entsprechenden Themen berichten dabei insbesondere regionale Medien ebenso über die nationale Politik aus ihrer Warte. Neben regionalen Radiostationen könnten in diese Kategorie auch der Tribune de Genève oder Der Bund fallen.
- Zuletzt bestehen Nachrichtenagenturen sowie Korrespondentinnen und Korrespondenten nationaler wie regionaler Medien in den verschiedenen Landesteilen, die zusätzlich zwischen diesen vermitteln. In der Schweiz ist hier insbesondere Keystone-SDA aktiv.
Alles reine Theorie?
Betrachtet man föderale Staaten so zeigen sich deutliche Abweichungen von diesem Ideal. Im Falle Belgiens mit starken Regionen und Gemeinschaften und einem fragilen föderalen Überbau,12 bestehen nach Sprache getrennte und in sich geschlossene Mediensysteme. Bezeichnend dafür ist die Aufteilung der öffentlich finanzierten Medien im Jahr 1960 in die heutigen, vollständig voneinander losgelösten Anstalten Radio-télévision belge de la Communauté française (RTBF) auf der einen und die Vlaamse Radio- en Televisieomroeporganisatie (VRT) auf der anderen Seite.13,14 Die Kompetenz für die Medienpolitik liegt denn auch bei den Gemeinschaften und nicht auf föderaler Ebene.15 In Abwesenheit nationaler Medien mögen die französischsprachigen Medien einerseits und die flämischsprachigen andererseits weder eine gemeinsame Öffentlichkeit noch den Perspektivwechsel in den jeweils anderen Landesteil anzustellen. Gerade in politischen Krisen bleibt das Potenzial zum Dialog ungenutzt. Vielmehr wirken die Medien wie Echokammern, die Konflikte entlang der Sprachgrenze verschärfen.16,17
Wenn wir das ebenfalls föderale Deutschland als Vergleichsfall heranziehen, so zeigen sich deutliche Unterschiede. Ausgehend von den Alliierten waren Föderalismus und Dezentralisierung nach 1945 nicht nur Primat des politischen, sondern auch des medialen Systems. Sie sollten auch hier Machtkonzentration verhindern.18 Noch heute liegt die Medienpolitik bei den Bundesländern.19 Wiederum der Blick auf die öffentlich finanzierten Medien verrät allerdings: Zwar bestehen neun regionale Rundfunkanstalten. Die Bundesländer zusammen bilden aber zudem die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands ARD, das Zweite Deutsche Fernsehen ZDF und das Deutschlandradio, die allesamt deutschlandweite Programme senden.20 Das Nebeneinander von lokal-regionaler ebenso wie nationaler Berichterstattung scheint damit in der Bundesrepublik zumindest mit Blick auf die öffentlich-rechtlichen Medien gegeben.
Schöne neue Medienwelt?
Seit einiger Zeit ist beobachtbar, dass sich Mediensysteme zu in Teilen breiteren und inklusiveren Medien- und Kommunikationssystemen ausdifferenzieren.21 Gleichzeitig kommt es im Zuge der Finanzierungskrise im Journalismus auch zu Fusionen zwischen Medientiteln und es entstehen Mantelredaktionen, die regionale Titel mit Inhalten bedienen.22 Mit dieser Entwicklung ist auch verbunden, dass Soziale Medien eine «neue […] gesellschaftliche Vermittlungsstruktur» geschaffen haben:23 Hier haben potenziell alle Zugang und können sich in Debatten einbringen. Indes hat sich gezeigt, dass Soziale Medien keine demokratischen Heilsbringer sind, sondern etwa mit ihren Algorithmen auch Gefahren bergen. Schliesslich kratzen Soziale Medien stark an der Vormachtstellung der klassischen Medien. In föderalen Staaten könnten die Folgen dieses Wandels noch akzentuierter auftreten: Die ökonomischen Rahmenbedingungen werden noch herausfordernder, die Anforderungen durch die Vervielfältigung von Akteuren und Kanälen noch komplexer. So gilt es gerade hier die Entwicklungen im Medien- und Kommunikationssystem mit höchster Aufmerksamkeit zu begleiten.
Referenzen
1 Siehe u. a. «Wie föderale Staaten entstehen und wie viele es gibt» (zuletzt geöffnet am 14.2.2022).
2 Filippov, M., P. C. Ordeshook und O. Shvetsova (2004). Designing federalism: A theory of selfsustainable federal institutions. Cambridge University Press.
3 Ergänzt werden diese durch sogenannte «Special Interest Medien» (beispielsweise Fachzeitschriften), die der Pluralisierung und Individualisierung innerhalb der Gesellschaft Rechnung tragen.
4 Donges, P. und O. Jarren (2020). Differenzierung und Institutionalisierung des Medien- und Kommunikationssystems. Medien Journal 43(3): 27–45 (35–37).
5 Hallin, D. C. und P. Mancini (2004). Comparing Media Systems: Three Models of Media and Politics. Cambridge University Press.
6 Freiburghaus, Rahel (2021). Subnationale Interessenvertretung in der Schweiz – (regionale) Medien als wegbrechendes Sprachrohr der Kantonsregierungen? (Unveröffentlicht). In DVPW-Themengruppe «Föderalismus» (Hrsg.), Neue Forschungsthemen im Bereich Föderalismus und Multilevel Governance (Workshop vom 12.2.2021). DVPW-Themengruppe «Föderalismus»/Université de Fribourg/Universität Freiburg (S. 12–13).
7 Simpson, J. (2021). Modern Media and Federalism. Forum of Federations.
8 Siehe FN 4 (S. 33).
9 Siehe FN 6.
10 Siehe FN 7 (S. 5–8).
11 Siehe u. a. «Der Schweizer Medienföderalismus im Check» (zuletzt geöffnet am 10. Mai 2022).
12 Deschouwer, K. (2012). The Politics of Belgium. Governing a divided society (2 nd edition). Palgrave Macmillan.
13https://www.mediadb.eu/europa/belgien.html (zuletzt geöffnet am 3.2.2021)
14 Daneben besteht heute zudem das Belgische Rundfunk - und Fernsehzentrum der Deutschsprachigen Gemeinschaft (BRF ).
15 Siehe FN 12 (S. 60–61).
16 Euwema, M. und A. Verbeke (2009). Negative and Positive Roles of Media in the Belgian Conflict: A Model for De-escalation. Marquette Law Review 93: 139–170.
17 Sinardet, D. (2013). How Linguistically Divided Media Represent Linguistically Divisive Issues. Belgian TV-Debates on Brussels-Halle-Vilvoorde. Regional & Federal Studies 23(3): S. 311–330.
18 Arnold, D. (2018). Medienföderalismus: Geschichte der Auslöser und Auswege für Kompetenzstreite. In Eifert M. und T. Gostomzyk (Hrsg.), Medienföderalismus: Föderale Spannungslagen und Lösungsansätze in der Medienregulierung . Nomos (S. 23–44 [S. 23–25]).
19 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (2007). Medienpolitik in Deutschland: Übersicht über die föderale Kompetenzverteilung einschließlich der europäischen Medienkompetenzen. Deutscher Bundestag.
20 Rudzio, W. (2019). Das politische System der Bundesrepublik Deutschland (10. Auflage). Springer VS, S. 421–424.
21 Siehe FN 4 (S. 30 ff.).
22 Siehe u.a. Jarren, O. und C. Neuberger (2020). Gesellschaftliche Vermittlung in der Krise: Medien und Plattformen als Intermediäre (Vol. 16). Nomos.
23 Siehe FN 4 (S. 40–41).
Zum Autor
Alexander Arens ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der ch Stiftung. Er hat am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern promoviert.