Übersetzen als Akt des Überschreitens

Camille Logoz, 19. Februar 2024

Übersetzungen bauen Brücken zwischen Sprachen und tragen zur Verständigung zwischen den Kulturen in einem mehrsprachigen Land wie der Schweiz bei. Mit dem Festival aller↔retour will die ch Stiftung denjenigen, die diese Arbeit täglich leisten, eine Plattform bieten. Die kommende Ausgabe am 9. März 2024 ist dem Thema «Überschreiten/transgression» gewidmet. Camille Logoz, Programmleiterin des Festivals, erklärt diese Wahl.

Als wir beschlossen, unser Festival für Übersetzung und Literatur unter das Motto «Überschreiten/transgression» zu stellen, hatten wir zunächst die engere Bedeutung des Begriffs vor Augen: Überschreiten heisst über etwas hinausgehen, auf die andere Seite wechseln, eine Grenze überqueren. Übersetzen ist ein solcher Akt des Überschreitens, denn es geht um einen Übergang, um Durchlässigkeit, um das Verschieben von Linien. Daraus zieht es seinen kreativen Elan: Überschreiten bedeutet, (sich) nicht anzupassen oder nur auf Umwegen. Zumindest bedeutet es, Normen in Frage zu stellen und sich damit auseinanderzusetzen, welchen Platz man ihnen einräumt. Und im Fall der Übersetzung geschieht dies mit dem form- und knetbaren Material der Sprache. Es ist ein Arbeiten mit der Sprache, der ein Hauch von Fremdheit verliehen wird, wodurch Texte, Genres und die Sprache selbst hinterfragt werden.

Dieses Schaffen will das Festival in den Vordergrund rücken, unter anderem mit Alexandre Pateau, der den Spott der ersten antikapitalistischen musikalischen Komödie (Brechts Dreigroschenoper) zu Gehör bringen wird, oder mit Marina Skalova, die über eine militante Lyrik eine Sprache des Widerstands übermittelt.

Mit dem Pfeil, der es durchquert, verdeutlicht das Logo der dritten Ausgabe das Hin und Her (aller-retour). Seine aus dem Rahmen fallenden Buchstaben unterstreichen das Thema «Überschreiten/transgression».

Risiken, Einschränkungen, Notwendigkeiten

Denn Überschreiten ist nicht immer nur ein Spiel oder eine Suche nach Ästhetik; es ist eine Anstrengung, ein Risiko und oft ein Überlebensmechanismus. Die Überschreitung hängt von den Normen ab, und wenn diese verbindlich sind, ist sie keine Wahl mehr, sondern wird zur Notwendigkeit. Darüber werden Rose Labourie und Silvia Albesano sprechen, Übersetzerinnen von Kim de L’Horizons nichtbinärem Schreiben, aber auch der Autor Amir Sarvan, der in der Schweiz lebt und auf Bosnisch schreibt.

Die Grenzen sind aber nicht immer willkürlich. Einige retten und schützen – und können nicht ohne Übergriff oder Einbussen überschritten werden. Die Überschreitung wird dann zur Gewalt. Mit dieser Schwierigkeit setzte sich Olivier Mannoni auseinander, Übersetzer und Experte für die Geschichte des Nationalsozialismus, der zu Diskursmacht und Sprachperversion sprechen wird. Dessen bewusst sind sich auch die Übersetzerinnen Gaëlle Cogan und Monique Kountangni, die feministische und dekolonialistische Perspektiven in ihr Schaffen integrieren.

Mit diesem roten Faden und diesen Beiträgen soll die politische Dimension jeder Überschreitung – und jeder Übersetzung – aufgezeigt werden. In welchem Rahmen ergeben sich Überschreitungen? Wodurch kommen sie zum Vorschein? Wer kann sie für sich beanspruchen? Normen sind einmalig, Überschreitungen – und Übersetzungen – aber vielfältig. Das Festival aller↔retour will sie erkunden und sie zu einem Ort der Reflexion, der Suche und des Infragestellens machen.

Das Festival aller↔retour

Die ch Stiftung unterstützt seit 50 Jahren literarische Übersetzungen zwischen den Landessprachen und fördert auf diese Weise den literarischen Austausch über die Sprachgrenzen hinweg. Das Festival aller↔retour wurde 2019 lanciert, um den Übersetzerinnen und Übersetzern der ch Reihe eine Stimme zu geben. Das mehrsprachige Festival ist auf die breite Öffentlichkeit ausgerichtet, soll aber auch ein Fachpublikum ansprechen.


Zur Autorin

Camille Logoz ist Programmleiterin des Festivals aller↔retour und als freiberufliche literarische Übersetzerin, Regieassistentin und Kulturvermittlerin tätig. Sie übersetzt Romane, Theaterstücke, Essays, Comics und Kinderbücher vom Deutschen ins Französische.

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