Uri goes Bern: Politik hautnah erleben
Ueli Zberg, Kanton Uri, und Rebekka Flotron, Polit-Forum Bern, 8. Februar 2024
Zunehmend und insbesondere von jungen Menschen wird eine Stärkung der politischen Bildung gefordert. Zu diesem Zweck hat der Kanton Uri Anfang 2021 verschiedene Massnahmen beschlossen, unter anderem: «Uri goes Bern»! Durch das Projekt können Urner Schülerinnen und Schüler die Politik an ausserschulischen Lernorten hautnah erleben, und zwar in Bundesbern.
Immer öfter wird eine Stärkung der politischen Bildung in der Schule gefordert – insbesondere von jungen Menschen. Im Kanton Uri wurde 2021 ein entsprechender Vorstoss im Kantonsparlament eingereicht. Dieser forderte die Einführung eines eigenständigen Fachs «politische Bildung» – eine Idee, die jedoch vom Kantonsparlament letztendlich abgelehnt wurde. Stattdessen erhielt der Kanton den Auftrag, konkrete und innovative Massnahmen zur politischen Bildung zu entwickeln. Seit 2021 arbeitet der Kanton aktiv an der Erstellung von Unterrichtsmaterialien, bietet Weiterbildungen für Lehrkräfte an und fördert ausserschulische Lernorte.
Das Herzstück: Exkursion nach Bern
Das Herzstück dieser Bemühungen sind die Tagesexkursionen nach Bern, bekannt als «Uri goes Bern». Die Idee hinter dieser Initiative ist, dass Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I die Gelegenheit erhalten, die politische Bundesstadt Bern hautnah zu erleben. Das Programm umfasst den Besuch des Bundeshauses, Debattierworkshops mit «Schweiz debattiert» und den Besuch der «Reitschule Bern». Ziel dabei ist, dass die Jugendlichen einige Facetten der Demokratie kennenlernen. Und zwar nicht die hohe Politik, wie man sie aus den Nachrichten kennt. Vielmehr soll eine Demokratie erlebt werden, an der sie tagtäglich teilhaben können.
Bereits der Start in den Tag ist alles andere als alltäglich: Der Reisecar holt die Schülerinnen und Schüler zwischen fünf und sechs Uhr ab – je nach Wohnort. Um 8 Uhr müssen sie in Bern sein, genauer, auf der Schützenmatte direkt vor der «Reitschule», einem autonomen Kulturzentrum. Wilhelm Tell klebt gross auf der Seite des Cars – der Kontrast fällt auf. Und auch das Gebäude fällt auf: zahlreiche politische Parolen zieren die Wände, es ist kunterbunt. Manche Schülerinnen und Schüler sind irritiert, viele fasziniert.
Station 1: Reitschule
Während sich die anderen Schulklassen auf den Weg ins Bundeshaus oder das Polit-Forum Bern machen, beginnt der Tag für einige Schülerinnen und Schüler hier in der Reitschule. Ein «Reitschüler», ein Mitglied des Kollektivs, führt durch das Gebäude. Von ihm erfahren die Jugendlichen mehr zur «Basisdemokratie» – eine Form von Demokratie, bei der Menschen direkt im politischen Prozess mitgestalten und Entscheide, bei weitgehender Auslegung des Konzepts, erst dann gefällt werden, wenn alle Beteiligten damit einverstanden sind. Das Erzählte regt nicht wenige der Schülerinnen und Schüler zum Nachdenken an: «Funktioniert das wirklich?» Das Fazit eines Schülers: «Wenn man Lösungen finden möchte, mit denen alle leben können, geht das vielleicht hier; aber auf nationaler Ebene…?!»
Nächster Halt: Bundeshaus!
Der nächste Lernort ist das Bundeshaus. Nach einem Sicherheitscheck wie am Flughafen richten sich die Jugendlichen auf der Tribüne des Ständerats ein – und sind erstaunt darüber, wie unaufmerksam gewisse Parlamentarierinnen und Parlamentarier bei der Sache sind. «Die einen haben Zeitung gelesen oder ein Skirennen geschaut», berichtet eine Schülerin im SRF-Beitrag (ab Minute 9:33) von Matthias Baumann. Im Anschluss treffen die Jugendlichen ihre eigene Vertretung im Parlament. Im Gespräch mit den Ständeratsmitgliedern Heidi Z'graggen und Josef Dittli sowie Nationalrat Simon Stadler geht es um Demokratie, Politik und die Rolle des Parlaments – ein besonderer Moment für die Jugendlichen.
Jetzt aber Mittagspause: für einmal nicht Pausenhof, sondern Bundesterrasse.
Zuletzt: Debattieren im Polit-Forum Bern
Auch bei der letzten Station sind alle nochmal gefordert: «Soll Cannabis legalisiert werden?», das ist die Frage, über die sich die Jugendlichen während zwei Stunden informieren und dann in einer Debatte, strukturiert nach der Methode «Jugend debattiert», austauschen. Dabei lernen sie nicht nur rhetorische Fähigkeiten, zum Beispiel wie ein starkes Argument formuliert werden muss, sondern auch, dass Demokratie Partizipation erfordert; das heisst mitreden, mitmachen, mitgestalten.
Ein intensiver Tag geht zu Ende. Wenn die Schülerinnen und Schüler, versorgt mit einem Sandwich, gegen 17 Uhr wieder in den Car steigen, sehen sie zwar etwas müde aus, aber die Gespräche unter einigen zeigen auch: Der Tag hat Eindruck hinterlassen. Vielleicht wird die eine oder der andere einmal sagen: «Die Begegnung in Bern damals ist mir schon geblieben.»
Fast 300 Urnerinnen und Urner in Bern
Im vergangenen Jahr nahmen 265 Jugendliche und 30 Begleitpersonen an vier Terminen teil. Das Programm bot einen tiefen Einblick in die politischen Prozesse, einschliesslich Sessionsbesuche und Debattierworkshops. Die enge Zusammenarbeit mit dem Polit-Forum Bern und dem Amt für Volksschulen Uri trug zum Erfolg dieser Exkursionen bei. Die erfolgreiche Kooperation zwischen externen Organisationen und dem Amt für Volksschulen Uri zeigt Potenzial für zukünftige Erweiterungen dieser Exkursionen.
Die Initiative könnte die politische Bildung der Schülerinnen und Schüler nachhaltig verbessern, indem sie theoretisches Wissen mit praktischen Erfahrungen verbindet. Das positive Feedback von Teilnehmenden deutet darauf hin, dass die Exkursion nach Bern und auch die weiteren Massnahmen in diesem Bereich bereits jetzt eine Wirkung haben.
«Uri goes Bern» legt nahe, dass ausserschulische Lernorte, gerade auch in Kombination miteinander, eine effektive Methode sein können, um die politische Bildung zu stärken. Diese Bemühungen sollen weiter ausgebaut werden, um den Schülerinnen und Schüler eine umfassende und praxisnahe politische Bildung zu bieten.
Zu den Autoren
Ueli Zberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Amt für Volksschulen, Bildungs- und Kulturdirektion Uri. In seiner Funktion ist er unter anderem zuständig für das Projekt «Stärkung der Politischen Bildung in der Volksschule» .
Weitere Infos: https://www.ur.ch/aemter/831 und https://urwegs.ch/pb-home/.
Rebekka Flotron ist Mitarbeiterin Politische Bildung beim Polit-Forum Bern. In dieser Funktion entwickelt, organisiert und koordiniert sie Angebote für Schulklassen und Jugendliche.
Weitere Infos: www.polit-forum-bern.ch