Le romanche : plus qu'une simple langue
Mélanie Haab, 10. Juni 2025
Die vierte Landessprache der Schweiz geniesst viel Sympathie, doch die Unterstützung bleibt meist symbolisch. Wenn sie nicht aussterben will, muss sie auf politische Rückendeckung und auf den Einsatz von Menschen zählen können, die diese Sprache sprechen.
Am 20. Februar 1938 akzeptierte die Schweizer Bevölkerung in einer historischen Volksabstimmung die Anerkennung des Rätoromanischen als vierte «Nationalsprache». Die bemerkenswert hohe Zustimmung von 91,6 % kann im Zusammenhang mit der geistigen Landesverteidigung am Vorabend des Zweiten Weltkriegs verstanden werden. Dennoch wird Rätoromanisch heute von weniger als 0,5 % der Schweizer Bevölkerung gesprochen. Die Sprache ist zwar weiterhin in ihrer Ursprungsregion, dem Kanton Graubünden verankert, wird aber immer weniger benutzt. Trotz der Stärkung durch die offizielle Anerkennung von Rumantsch Grischun (standardisiertes Rätoromanisch, siehe weiter unten) als Amtssprache 1996 und der finanziellen Unterstützung durch Bund und Kantone nimmt die Anzahl der Romanischsprechenden nicht zu. Mit welchen Herausforderungen ist das Rätoromanische zurzeit konfrontiert? Hat die Sprache eine Zukunft in der Schweiz?
Der Bündner Regierungsrat Jon Domenic Parolini, der selbst rätoromanischer Muttersprache ist, stellt gleich von Anfang an klar: «Bereits vor 500 Jahren, als die Sprachen der verschiedenen Völker allmählich zu Schriftsprachen wurden, sah die Zukunft des Rätoromanischen nicht gut aus. Dennoch ist die Sprache, in all ihren Facetten und mit den verschiedenen Idiomen, immer noch lebendig und hat durchaus eine Zukunft. Es geht nicht nur um gesprochene Sprachen, sondern um eine oder mehrere gelebte Kulturen.»
«Die Sprache, in all ihren Facetten und mit den verschiedenen Idiomen, ist immer noch lebendig und hat durchaus eine Zukunft. Es geht nicht nur um gesprochene Sprachen, sondern um eine oder mehrere gelebte Kulturen.»
Regierungsrat Jon Domenic Parolini, Vorsteher des Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartements
© Standeskanzlei Graubünden

Die Rolle des Föderalismus
Graubünden ist der einzige Schweizer Kanton mit drei Amtssprachen. Artikel 3 der Kantonsverfassung lautet: Deutsch, Rätoromanisch und Italienisch sind die gleichwertigen Landes- und Amtssprachen des Kantons. Auf dieser Grundlage ist der Kanton für die Umsetzung einer Sprachenpolitik verantwortlich, die das Rätoromanische in Verwaltung, Kultur und Bildung fördert und unterstützt. Die übrigen Kantone haben keine besonderen Pflichten gegenüber dem Rätoromanischen. In urbanen Zentren wie Zürich, Basel oder Bern engagieren sich vereinzelt öffentliche wie private Trägerschaften für die vierte Landessprache, etwa durch Veranstaltungen für Jung und Alt. Eine Zürcher Kindertagesstätte bietet sogar eine Betreuung auf Rätoromanisch an (wobei das Idiom personalabhängig ist).
Der föderale Staatsaufbau der Schweiz erlaubt es, auf den lokalen Kontext zugeschnittene Lösungen zu finden: «Der Föderalismus ist einerseits wichtig und gut, weil er bedeutet, dass die Gemeinden für ihre Sprachpolitik in Schulen, Verwaltung und Lokalpolitik selber verantwortlich sind und dass das Bildungssystem in der Verantwortung des Kantons liegt und dieser auf die besondere Situation des Rätoromanischen Rücksicht nehmen kann. Andererseits sind die sprach- und bildungspolitischen Herausforderungen sehr gross und das Interesse an der Erhaltung des Rätoromanischen ist von nationaler Tragweite, solange es in der Verfassung verankert ist. Insofern ist es auch wichtig, dass die verschiedenen Staatsebenen gut zusammenarbeiten», mahnt Rico Valär, Professor beim Romanischen Seminar, Universität Zürich.
Die Verankerung des Rätoromanischen auf Bundesebene gestaltet sich anders als diejenige von Deutsch, Französisch oder Italienisch. Es ist zwar seit 1938 Landessprache, und seit 1996 Amtssprache, aber nur teilweise, nämlich nur im Verkehr mit Personen, die Rätoromanisch sprechen. Im Gegensatz zu den anderen Sprachen ist die Bundesverwaltung nicht verpflichtet, es proaktiv zu verwenden. Ein kurzer Blick auf die Website des Bundes zeigt, dass weniger als die Hälfte des Inhalts auf Rätoromanisch angeboten wird.
Der Bund unterstützt die Sprache vor allem finanziell. In der Kulturbotschaft 2025–2028 sieht der Bundesrat ein Finanzierungsvolumen von 80 Millionen Franken für die Förderung der Landessprachen (zusätzlich zu den 159 Millionen für die Kultur) vor. Nichtsdestotrotz: «Auf Bundesebene wäre es wünschenswert, dem Rätoromanischen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Es braucht immer wieder eine Sensibilisierung und ein Bekenntnis aller Akteure zur Mehrsprachigkeit und damit auch zum Rätoromanischen», wünscht sich Jon Domenic Parolini.
Die drei zivilgesellschaftlichen Organisationen Lia Rumantscha, Helvetia Latina und Coscienza Svizzera, die sich für die Minderheitssprachen einsetzen, äussern sich konkreter und fordern mehr Anerkennung, Mittel und politischen Willen. Ihr Ziel ist ein Wechsel von symbolischen Massnahmen zu einer effizienten Politik, die die tatsächliche Gleichstellung der Landessprachen garantiert – insbesondere über eine vermehrte Nutzung der rätoromanischen Sprache in den eidgenössischen Institutionen. Dafür fordern sie eine höhere finanzielle Unterstützung für die Bereiche Kultur, Bildung, Medien und Digitalisierung auf Rätoromanisch. Auch die Kantone werden in den Fokus genommen und gebeten, den Rätoromanischunterricht einzuführen oder auszubauen. Schliesslich rufen die Organisationen zu einer besseren Koordination der Sprachpolitik zwischen dem Bund, dem Kanton Graubünden und den Gemeinden auf.
«Das Interesse an der Erhaltung des Rätoromanischen ist von nationaler Tragweite, solange es in der Verfassung verankert ist. Insofern ist es auch wichtig, dass die verschiedenen Staatsebenen gut zusammenarbeiten.»
Rico Valär, Professor beim Romanischen Seminar, Universität Zürich
© UZH

Die Rolle von Rumantsch Grischun
1982 erarbeitete die Lia Rumantscha, die Dachorganisation für die Förderung der rätoromanischen Sprache, einen neuen, entschlosseneren Plan, um die bis dahin vorwiegend im Rahmen lokaler Initiativen betriebene Förderung der rätoromanischen Sprache und Kultur auf eine breitere Basis zu stellen. Im Mittelpunkt des Projekts stand die Schaffung einer Normsprache in Gestalt der standardisierten Schriftsprache Rumantsch Grischun. Dabei handelt es sich nicht um eine Mischung der fünf Idiome, sondern um eine reine Schriftsprache, die sich an den gemeinsamen Merkmalen mehrerer Idiome orientiert. Niemand hat Rumantsch Grischun als Erstsprache.
«Dank Rumantsch Grischun haben wir für alle überregionalen Belange eine gut funktionierende überregionale Standardsprache, die in der Verwaltung von Bund und Kanton, in den Medien, in Sprach- und Kulturinstitutionen, in Korrespondenzen, an der Universität mit grosser Normalität verwendet wird», freut sich der Sprachwissenschaftler Rico Valär und fügt hinzu, dass die Produktion von Texten auf Rätoromanisch (nicht unbedingt Rumantsch Grischun) seit den 1980er-Jahren exponentiell gewachsen und sichtbarer geworden ist. Diese positive Entwicklung setzt sich weiter fort, da einige dieser Werke prämiert und sogar mit dem Schweizer Literaturpreis ausgezeichnet wurden (in jüngerer Zeit 2018 Dumenic Andry für die auf Deutsch, Französisch und Italienisch übersetzte Gedichtsammlung «Sablun» und 2020 Flurina Badel für «tinnitus tropic», beide in der ch Reihe).
Die Bündner Medien RTR (Radio e Televisiun Rumantscha) und FMR (Fundaziun Medias Rumantschas) nutzen die Standardsprache ebenfalls und senden weit über die Sprachgrenzen hinaus.
Die Rolle der Schule
«In den meisten romanischen Gemeinden ist Romanisch Alphabetisierungssprache. In einzelnen Gemeinden mit einem grossen Anteil deutschsprachiger Einwohnerinnen und Einwohnern erfolgt die Einschulung zweisprachig», erklärt Jon Domenic Parolini, der auch das kantonale Erziehungsdepartement leitet. In der gesamten obligatorischen Schule und auf der Sekundarstufe II wird ein zweisprachiger Klassenzug angeboten. «Die Schülerinnen und Schüler finden Rätoromanisch cool, eine Art Geheimsprache.»
Allerdings wird nicht Rumantsch Grischun unterrichtet, sondern das lokale Idiom, ergänzt durch Hochdeutsch. Laut unseren beiden Experten ist diese Frage hoch emotional. «Für die Meisten ist das Rätoromanische eine Sprache der Nähe, der Familie, des Dorfes, des Tales. Für weitergehende Belange und Bildung ist sehr rasch das Hochdeutsche präsent. Deshalb konnte das Experiment des Rumantsch Grischun als Alphabetisierungssprache nicht gelingen, was von der Forschung auch so vorausgesagt wurde», hält Rico Valär fest und stellt klar, dass dies die Legitimität der überregionalen Standartsprache keineswegs schmälert.
Die Zukunft der rätoromanischen Idiome
Eine Bündner Gemeinde gilt als romanisch, wenn 40 % der Bevölkerung die Sprache im Alltag nutzen. Beträgt dieser Anteil 20 %, ist die Gemeinde zweisprachig. Von den 212 Bündner Gemeinden sind 49 romanisch und 25 zweisprachig; heute haben insgesamt noch rund 40’000 Personen Rätoromanisch als Erstsprache. Ob die Sprache überlebt, hängt wahrscheinlich von der politischen Unterstützung, aber vor allem von den Menschen ab, die sie in den Bündner Tälern und in der schweizweiten Diaspora praktizieren. Ihre Zukunft als lebendige Sprache ist gesichert, wenn sie an die nächsten Generationen weitergegeben wird.
«Es wird immer eine Aufgabe der Willensnation bleiben, die Vielfalt der Sprachen und Kulturen in der Einheit zu pflegen und sich deren Wert bewusst zu sein», meint Jon Domenic Parolini. Rico Valär ergänzt: «Jede Sprache hat eine Zukunft, solange sie in einer Sprachgemeinschaft gesprochen wird, solange sie an die nächsten Generationen weitergegeben wird und solange in ihr debattiert, geschrieben, gedichtet, gesungen wird. Insofern sieht die Situation des Rätoromanischen nicht so schlecht aus; es gibt einen guten rechtlichen Rahmen, es gibt Anstrengungen im Bildungssektor, Medienangebote, sprachpolitische Aktionen. Aber es ist klar: Es braucht ein tägliches Engagement der SprecherIinnen und der Institutionen, um an einer solchen Zukunft zu arbeiten.»
Über Digitalprojekte, die insbesondere von der Universität Zürich, RTR und der Lia Rumantscha ins Leben gerufen wurden, wird versucht, die Sprache auch in den heute gängigen digitalen Sprachanwendungen wie künstliche Intelligenz oder automatische Übersetzung zugänglich und nutzbar zu machen. Die folgenden, 2025 ins französische Standardwörterbuch Larousse aufgenommenen Wörter verfügen beispielsweise bereits über eine rätoromanische Entsprechung auf Supertext: cyberattaque (cyberattatga), ultra-trail (ultrasun), syndrome de l’imposteur (Sindrom da defraudaders da taglia) und Food truck (camiun da victualias).
Das Rätoromanische ist mehr als eine regionale Sprache – es ist ein Symbol für die nationale Vielfalt und die Identität der Schweiz: Der Schutz des Rätoromanischen liegt daher im Interesse der ganzen Schweiz, nicht nur der Bündnerinnen und Bündner. Rätoromanisch steht symbolisch für Offenheit, Toleranz, Mehrsprachigkeit, Solidarität und den Umgang mit Minderheiten und prägt das Selbstverständnis der Schweiz entscheidend mit.

Zur Autorin
Mélanie Haab ist Kommunikationsbeauftragte bei der ch Stiftung. Sie besitzt einen Abschluss in Kommunikation und Medienwissenschaft der Universität Freiburg, und hat als Journalistin für verschiedene Medien gearbeitet.