50 Jahre im Dienst der literarischen Übersetzung
Mélanie Haab, 9. Dezember 2024
Die ch Reihe trägt seit 50 Jahren zur Lebendigkeit der Schweizer Literatur bei. Ihre Geschichte liest sich wie eine Saga, deren Handlung sich über die Jahre hinweg entfaltet und 2024 mit einem neuen Kapitel fortgesetzt wird.
Es war einmal ein kleines viersprachiges Land mit einer reichhaltigen und vielfältigen Literatur, die sich aber kaum über die Sprachgrenzen hinweg verbreitete.
1968: Vor nicht allzu langer Zeit hatte die Landesausstellung in Lausanne stattgefunden. Die Autobahn A1, die Genf und Rorschach verbindet, war zum grossen Teil fertiggestellt. Die Jurafrage löste eine nationale Debatte aus. In der Geschäftsleitung der im Jahr zuvor gegründeten ch Stiftung brachte Hans Tschäni, Journalist beim Tages-Anzeiger und Mitglied der Neuen Helvetischen Gesellschaft, die Idee vor, den Austausch über die Sprachgrenzen hinweg durch die Übersetzung von literarischen Werken zu fördern. Die Kantone Genf, Tessin, Uri und Zürich schossen ein Startkapital von 20 000 Franken vor. Sehr rasch schlossen sich die (ebenfalls erst gegründete) Walter- und Ambrosina-Oertli-Stiftung, Pro Helvetia und Ex Libris dem Projekt an. 1974 wurde das erste Buch der ch Reihe publiziert: «Ein Fest im Dorf» von Giovanni Orelli, aus dem Italienischen übersetzt von Renate Tietze. Im gleichen Jahr wurden vier weitere Werke übersetzt.
Seither hat sich an der Arbeitsweise der ch Reihe nicht viel verändert: Die Herausgeberkommission schlägt eine Anzahl von Büchern aus allen vier Sprachregionen vor, die sie den Verlagen zur Übersetzung in eine andere Landessprache empfiehlt. Sie leistet einen Druckkostenzuschuss und kontrolliert die Übersetzungsqualität.
Jedes Jahr wird mit Unterstützung der ch Reihe ein halbes Dutzend Bücher übersetzt: Sie leistet damit seit 50 Jahren einen bescheidenen, aber konstanten Beitrag zur Vielfalt der Schweizer Literatur. Im Katalog der ch Reihe sind grosse Namen vertreten, etwa Ruth Schweikert, Klaus Merz, Markus Werner, Matthias Zschokke, Franz Hohler sowie Oscar Peer oder Pedro Lenz.
Die guten Jahre
In den ersten Jahren wurden die grossen Klassiker übersetzt, die ch Reihe erhielt mehr Sichtbarkeit und gab ab 1979 einige der unterstützten Bücher in Braille-Schrift heraus. Bis Anfang der 90er-Jahre präsentierte sie sich an einem Stand an der Genfer Buchmesse, einer der grössten literarischen Veranstaltungen in der Schweiz. Seit 1988 tragen alle Kantone zur Finanzierung bei.
Dank dem mit 25 000 Franken dotierten «Oertli-Preis», den die gleichnamige Stiftung 1992 verlieh, führte die ch Stiftung 1993 mit «Ein Schiff zum Übersetzen» die erste Veranstaltung für Literatur in Übersetzung durch. Der Anlass fand bis 2003 praktisch jährlich statt und wurde dann im Format «4 + 1» neu lanciert (vier Landessprachen der Schweiz und eine Gastsprache an jeder Veranstaltung).
Die Krise
In diesem langen ruhigen Fluss bildeten sich 1994 erste Strudel, als die Verlagshäuser erstmals keine Vorschläge machten und sich nicht für die von der Herausgeberkommission vorgeschlagenen Titel interessierten. Die Idee der Präsidentin Marion Graf, auch Theaterstücke in die ch Reihe aufzunehmen, wurde aber nicht aufgegriffen. Die Kommission wollte gleichzeitig mehrere Werke eines Autors oder einer Autorin übersetzen lassen, um den Promotionsaufwand zu verkleinern. Diese Idee scheiterte aber an der im Literaturbetrieb herrschenden Agenda. Mehr Glück hatte die Lyrik. Trotz Gegenstimmen einiger Kommissionsmitglieder wurde der Katalog auch für Poesie geöffnet.
Engagement für Schulen
Zu Beginn des neuen Jahrtausends bewegte die Debatte über Frühenglisch die Schweiz: Sollte der Sprache Shakespeares gegenüber einer Landessprache der Vorzug gegeben werden? Eine von der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK) mandatierte Expertenkommission empfahl 1998 das Lernen von zwei Fremdsprachen während der obligatorischen Schulzeit – einer Landessprache und Englisch. 2004 veröffentlichte die EDK ihre Strategie für die gesamtschweizerische Koordination, die dem Unterricht in einer zweiten Landessprache Priorität einräumte.
Vor diesem Hintergrund setzte sich die ch Stiftung für die Förderung der Landessprachen in den Schulen ein und startete 2001 mit Unterstützung des Migros Kulturprozents und des Vereins «Autorinnen und Autoren der Schweiz» das Projekt «ch Reihe an den Schulen». Sie organisiert Lesungen mit Autor-Übersetzer-Tandems an Mittelschulen, um die Schülerinnen und Schüler für den Sprach- und Kulturaustausch zu sensibilisieren, der mit der Arbeit des Übersetzens einhergeht. Das Projekt wurde im Laufe der Jahre von verschiedener Seite unterstützt – von der Binding-Stiftung über das Bundesamt für Kultur bis zur Oertli-Stiftung.
2014 feierte die ch Reihe mit einem Katalog von 270 übersetzten Büchern ihr 40-jähriges Bestehen. Eine mobile Bibliothek machte Halt in allen Landesteilen und präsentierte den substanziellen Beitrag der Kantone zur Schweizer Literatur in Übersetzung. Eine Bücherbox mit fünf emblematischen Büchern erinnert an diesen Meilenstein in der Geschichte der ch Reihe.
2019 wurden die Literaturveranstaltungen «Ein Schiff zum Übersetzen» sowie «4 + 1» durch das Festival für Übersetzung und Literatur «aller-retour» abgelöst, das seit der zweiten Ausgabe in der zweisprachigen Stadt Freiburg stattfindet.
Neue Sprachen im Katalog
Die Menschen in der Schweiz schreiben und lesen längst nicht nur in Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch, sondern in vielen weiteren Sprachen. Um diese multikulturelle Realität abzubilden, fördert die ch Reihe jedes Jahr ein Buch, das in der Schweiz entstanden ist, und das in einer anderen als den vier Landessprachen geschrieben wurde. Den Anfang machte 2024 der Roman «Nacht in Damaskus» des in Burgdorf lebenden Autors Shukri Al Rayyan, das aus dem Arabischen übersetzt wurde. Ausserdem wird abwechselnd punkto Sprache eine Expertin oder ein Experte eingeladen, für eine bestimmte Dauer in der Herausgeberkommission der ch Reihe Einsitz zu nehmen.
2024 feierte die ch Reihe ihr 50-Jahr-Jubiläum und nahm das erste ins Rätoromanische übersetzte Buch in den Katalog auf. Die Autorinnen und Autoren sowie Übersetzerinnen und Übersetzer, die zur ch Reihe mit ihren fast 350 Büchern beigetragen haben, präsentierten sich der Öffentlichkeit. Schweizweit fanden Lesungen und Gespräche statt. Den Auftakt zu dieser literarischen Reise bildete das Festival «aller-retour». Ein Podcast beleuchtet einige der prägenden Titel der Reihe.
Literatur in Übersetzung ist ein verbindendes Element in der Schweiz, und es warten bereits mehrere Bücher auf ihre baldige Übersetzung. Diese Geschichte wäre nie möglich gewesen, ohne Unterstützung der Kantone und der Kooperationspartner, die von Anfang an an das Projekt geglaubt haben. Und das verdient ein grosses Danke, merci, grazie, grazia!
Zur Autorin
Mélanie Haab ist Kommunikationsbeauftragte bei der ch Stiftung. Sie besitzt einen Abschluss in Kommunikation und Medien Wissenschaft der Universität Freiburg. In vormaliger Tätigkeit hat sie für verschiedene Medien als Journalistin gearbeitet.