VERWALTUNGSDIGITALISIERUNG UND POLITISCHES SYSTEM (3)
Government as a Service Ecosystem
Marc Schaffroth, 14. Juni 2024
Ein starkes demokratisches System ist die Voraussetzung für den Aufbau eines soliden E-Government. Auf dessen Grundlage können Gemeinden, Kantone und der Bund sich interföderal vernetzen und einen niederschwelligen, auf die Lebenslagen und Geschäftssituationen der Bevölkerung und der Wirtschaft zugeschnittenen digitalen Verwaltungsservice anbieten.
Digitale Transformation: Demokratie an erster Stelle
Wie in den beiden vorangehenden Beiträgen dargelegt (hier und hier), ist die Digitale Transformation der Verwaltung in der Schweiz in einen demokratischen Systemkontext eingebunden und somit gemäss den in der Bundesverfassung dargelegten Werten, Prinzipien und Verfahren zu entwickeln, zu steuern und umzusetzen.
Es gilt das Primat der Politik. Bürger:innen sowie die von ihnen gewählten parlamentarischen Vertretungen bestimmen in demokratischen Aushandlungsprozessen die hoheitlichen Aufgaben des Staates für eine gute und einvernehmlichen Regulierung des Gemeinwesens. Dies beinhaltet insbesondere die behördliche Bereitstellung von öffentlichen Gütern und Leistungen. Staatliche Aufgaben können – wenn sie die politischen Erwartungen nicht erfüllen – jederzeit über den demokratischen Policy Cycle modifiziert oder auch ganz aufgehoben werden.
Co-Creation1 und Quality of Governance2 sind nicht beliebige Marketing-Floskeln, sondern sie gehören gleichsam zur DNA unseres Verfassungsstaates:
- Mit dem Subsidiaritätsprinzip ist Politikgestaltung in unserem Land partizipativ auf bundesweite, kantonale sowie kommunale Entscheidungs- und Gestaltungsebenen verteilt. Das Spannungsfeld zwischen einer kollektiv getragenen Gesamtverantwortung, interföderaler Kooperation und föderaler Selbstorganisation lässt sich in einer Konsensdemokratie politisch ausbalancieren. «Demokratie zählt - es liegt an Dir» (vgl. Blog 2).3
- Regierungen und Verwaltungen handeln hierzulande nach Verfassung und Gesetz und sind darüber rechenschaftspflichtig.4
Demokratische Staatlichkeit trägt gleichermassen zu Wohlstand, Wandlungsfähigkeit und Resilienz der Schweiz bei. Sie garantiert Spitzenplätze in den internationalen Ratings zur Qualität der Regierungs- und Verwaltungsführung – ganz zum Vorteil einer hohen Wettbewerbsfähigkeit und eines guten Lebensstandards (vgl. Blog 1). Wie sich zeigen lässt, sind die inhärenten Organisationsprinzipien (Territorialität, Subsidiarität, Zuständigkeit etc.) des demokratischen Verfassungsstaates gute Stützen der Verwaltungsmodernisierung und es können damit auch die Nutzenpotenziale digitaler Technologien zielorientiert erschlossen werden.
Bürokratieabbau im (digitalen) Verwaltungsvollzug…
Wie und warum entstehen den Bürger:innen und Unternehmen beim Bezug von gesetzlich verankerten öffentlichen Leistungen überhaupt bürokratische Hindernisse und Lasten? Und durch welche geeigneten organisatorischen Massnahmen können diese abgebaut werden?
Die Analyse der strukturellen Ursachen von Bürokratie im Verwaltungsvollzug ergibt, dass in einer stark fragmentierten föderalen Verwaltung aus Sorge um die Rechtsstaatlichkeit das Zuständigkeitsprinzip als organisatorisches Gestaltungsprinzip sowohl des Vertriebs als auch der Produktion öffentlicher Leistungen gesetzt ist.5 Dies führt bisweilen zu einer extremen Zersplitterung behördlicher Angebote und Bezugswege. Den Bürger:innen wird dabei zugemutet, auf sich alleine gestellt und in voller Kenntnis von behördlichen Zuständigkeiten und Verfahrensabläufen alle zu einem spezifischen Anliegen (wie Heirat, Unternehmensgründung etc.) benötigten Leistungen selbständig einzuholen. Der Behördengang – wahrgenommen als «Behördenmarathon» und «Zuständigkeitsdschungel» – ist geprägt von einer Vielzahl tatsächlich vermeidbarer Informations- und Transaktionslasten, welche die Effizienz vermindern, Kosten verursachen sowie unnötig Zeit beanspruchen.
... erfordert die vernetzte Schaffung von Mehrwert
In Anlehnung an die globale Vision One Government User Experience – Whole of Government Approach der World Bank6ist es daher auch das erklärte Ziel der Strategie Digitale Verwaltung Schweiz (2024-2027), das Leben der Bevölkerung und der Wirtschaft im Behördenverkehr deutlich zu vereinfachen7 Behördenleistungen sollen – statt wie bisher entlang von Zuständigkeiten – neu in einem «vernetzten Gesamtsystem» durchgängiger und «digital ausgerichteter Prozesse» nutzerzentriert bereitgestellt werden.8
Gemäss diesem Verständnis von Bürokratieentlastung hat die Digitale Transformation bei der Veränderung der organisatorischen Strukturen und Abläufen des Verwaltungsvollzugs, d.h. bei ihrem Geschäfts- und Service-Modell, anzusetzen.9 Die Schlüsselfrage dazu lautet: Wie kann die arbeitsteilige Verwaltung ihre Leistungserbringung unter Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und föderaler Aufgabenteilung serviceorientiert auf die Anliegen der Bürger:innen und der Wirtschaft ausrichten?
Die Transformation des Insel-Governments in eine interföderal vernetzte Verwaltung erfordert einen veritablen Business Model Change: «It all starts with business model change (…) business model transformation is crucial to its success» (Gartner Group10). Das eCH-White Paper Vernetzte Verwaltung - Organisationskonzept für ein föderales E-Government11 enthält ein politik- und verwaltungswissenschaftlich abgestimmtes Leitkonzept für den geforderten business model change mit diesen für die Verwaltungsmodernisierung relevanten Erkenntnissen:
System Thinking: Die Digitale Transformation der Verwaltung erfordert ein ganzheitliches Verständnis ihres Gestaltungsrahmens. Distributions- und Produktionsprozesse der öffentlichen Verwaltung sind in ihrer Verschränkung zu betrachten und aufeinander abzustimmen.
Service Design: Das Verwaltungsverfahren als Modellierungsvorlage. Mit seinen rechtsstaatlich vorgegebenen Mindeststandards bezüglich Abläufe, Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Rechtssicherheit und Zuverlässigkeit bietet sich das Verwaltungsverfahren als methodische Vorlage (blueprint) für die einheitliche Modellierung und Implementierung von Akteur-Beziehungen im Verwaltungsvollzug an (Phasenmodell des Verwaltungsverfahrens). Die Gestaltungskomplexität der Digitalen Transformation mit ihrer Fülle an Akteuren, Leistungen, Prozessen, Zuständigkeitsebenen, Geschäftsfunktionen etc. lässt sich dadurch enorm reduzieren. Aufgrund der prozessualen Gleichförmigkeit des Verwaltungsverfahrens können Behördengänge auf der operativen Ausführungsebene mittels einer geringen Anzahl gleichartiger Vollzugselemente abgewickelt werden (Abb. 1/1).
Es wird dadurch eine kosteneffiziente Modularisierung sowie Mehrfachverwendung von prozess- und organisationsübergreifend nutzbaren Geschäftsfunktionen (z.B. als shared services), Informationsbeständen sowie IT-Bausteinen unterstützt. eCH nimmt hier bereits den building block-Ansatz von GovStack 12vorweg (Abb. 1/2), schliesst darin aber explizit auch öffentliche Leistungen mit ein (vgl. Konzept der Leistungsarchitekturen, weiter unten).
Die unsichtbare Verwaltung: Kund:innenorientierung bedeutet im Kontext einer interföderal vernetzten Verwaltung, dass sowohl der Informationszugang als auch Transaktionen mit Behörden aus der Perspektive von Lebenslagen und Geschäftssituationen der Kundschaft (d.h. outside in statt wie bisher inside out) zu modellieren sind. Dabei sind die nach Zuständigkeiten aufgesplitterte arbeitsteilige Struktur der Leistungserstellung sowie die unübersichtliche Behördenorganisation für Bürger:innen auszublenden, d.h. „unsichtbar“ zu machen.13
In einem portalgestützten Citizen Journey14 sollen Bevölkerung und Wirtschaft ihre Behördenanliegen daher mindestens nach diesen operativen Grundsätzen abwickeln können:
- at the first go: Benötigte Informationen und Leistungen sind auf Anhieb auffindbar.
- one-stop: Behördenleistungen können aus einer Hand bezogen werden. Alle erforderlichen Interaktionen und Transaktionen können auf den Kommunikationskanälen und Kontaktmedien eigener Wahl durch-gängig, sicher und zuverlässig abgewickelt werden.
- once-only: Behörden können dazu autorisiert werden, benötigte Informationen (Bescheinigungen, Registerauskünfte etc.) nach dem Grundsatz «Die Verwaltung fragt nichts, was sie schon weiss» selbständig auf dem Amtsweg einholen.
Dieselben organisatorischen Prinzipien stehen in aktuellen Transformationskonzepten, insbesondere bei Government as a Service Platform (GaaP)15 an vorderster Stelle. Allerdings verbindet das eCH-Leitkonzept in einem Systemansatz den einfachen und bürokratiearmen Verwaltungszugang mit der vernetzten Wertschöpfung, d.h. einer behördenübergreifenden Bündelung von einzelnen öffentlichen Leistungen zu an den Lebenslagen und Geschäftssituationen ausgerichteten smarten Service-Paketen.
Service Ecosysteme – Wertschöpfungsmodell und Zielarchitektur16,17
Auf der Grundlage modularer Leistungs- und Prozessnetzwerke lassen sich behördliche Leistungssilos zu flexibel erweiterbaren Bürger:innen-Services umbauen. Diese von eCH und auch anderen Autor:innen18 vorgeschlagenen neuartigen Formen der interföderalen Leistungsvernetzung bezeichne ich im Anschluss an Koskela-Huotari als Service Ecosysteme.19
Es folgt hier eine kurze Darstellung des Wertschöpfungsmodells, der damit verbundenen kollaborativen Governance sowie der zugrundeliegenden modularen Leistungsarchitektur.20
Interföderale Wertschöpfung: Bei der vernetzten Wertschöpfung in der Verwaltung sind diese vier Handlungsstränge miteinander verschränkt (vgl. Abb. 2):
Eingebettet in den stets vorauszusetzenden politischen Systemkontext (1) übernehmen in Service Ecosystemen die mitbeteiligten Behörden kollektiv die Verantwortung bei der Orchestrierung einzelner hoheitlicher Leistungen (2) zu smarten Leistungspaketen (3), welche auf bestimmte Lebenslagen und Geschäftssituationen zugeschnitten sind (4).
Unter Berücksichtigung von rechtsstaatlichen und föderalen Anforderungen werden die einzelnen Leistungen somit in den lokalen Prozessen einer jeweils zuständigen Behörde (service authority) bereitgestellt und anschliessend kollektiv zu einem Leistungspaket geschnürt. Die Verantwortung für eine bestimmte öffentliche Leistung in einem Smart Service Paket verbleibt indessen bei der gesetzlich zuständigen Behörde und ist nicht delegierbar.
Kollaborative Governance. Die vernetzte Wertschöpfung beinhaltet neue Formen der behördenübergreifenden Zusammenarbeit: Auf allen vier Ebenen des interföderalen Kollaborationsmodells agieren die mitbeteiligten Akteure als selbständige Partner, welche sich in einem gemeinsamem Leistungsversprechen darauf einigen, die von ihnen verantworteten Behördenleistungen unter Wahrung des Subsidiaritäts- und Zuständigkeitsprinzips als smarte Service Arrangements bereitzustellen. Die Etablierung von behördlichen Service Ecosystemen erfordert in der Regel kaum gesetzlichen Anpassungsbedarf. Praktische Umsetzungsbeispiele von Service Ecosystemen in schweizweiten Behördenportalen wie EasyGov, eUmzugCH und eBau bestätigen diesen Sachverhalt.
Die Modalitäten der kollaborativen Steuerung und des operativen Vollzugs sowie von weiteren organisatorischen und technischen Rahmenbedingungen der interföderalen Wertschöpfung sind zwischen den involvierten Behörden jedoch vertraglich auszuhandeln und zu vereinbaren. Die Partner verpflichten sich, den behördenübergreifend vernetzten Verwaltungsvollzug stets zuverlässig, transparent und rechtssicher nach den vorgegebenen gesetzlichen Standards abzuwickeln. Die Rolle des Service Orchestrators kann flexibel und kontextbezogen besetzt sowie in Delegation ausgeübt werden.
Modulare Leistungsarchitekturen. Im Geschäftsmodell der Vernetzten Verwaltung rangieren die einzelnen hoheitlichen Leistungen als Bausteine einer kundenorientierten Service-Architektur (vgl. Abb. 3). Leistungsarchitekturen bilden die Modellierungs-Grundlage von Service Ecosystemen. Mit einem modular einsetzbaren Baukasten-System kann die Verwaltung nach LEGO-Manier ihre im local business layer (2) bereitgestellten Leistungen auf dem interföderalen service orchestration layer (3) zu Smart Service Arrangements bündeln und so zu den Anliegen von Kund:innen auf dem service access and distribution layer (4) bereitstellen.
Modularität, Verschachtelung, Mehrfachverwendung und Flexibilität sind die starken Gestaltungsprinzipien von (verwaltungsübergreifenden) Leistungsarchitekturen des öffentlichen Sektors. Verster et al. verstehen im (privatwirtschaftlichen Kontext) «business services as a modelling approach for smart business networks» und kommen dabei zu denselben Schlussfolgerung wie eCH: «Key characteristics of Smart Business Networks are their ability to exhibit adaptive, agile and robust behavior».21
Plug and Play-Leistungsarchitekturen sind der Schlüssel zu den Service Ecosystemen der öffentlichen Verwaltung. Die modularen Service-Bausteine können in beliebigen Vollzugszusammenhängen flexibel wiederverwendet, kombiniert resp. rekonfiguriert werden und damit wechselnde Anforderungen auf Seiten der Politik bzw. veränderte Bedarfslagen der Kundschaft zeitnah unterstützen.
Zudem kann die Zusammenarbeit der öffentlichen Verwaltung mit der privaten Wirtschaft im Verbund von Public Private Ecosystemen auf einer rechtsstaatlichen Grundlage ausgebaut werden: Grundsätzlich können alle nicht hoheitlichen Leistungs- bzw. Prozessbestandteile eines Verwaltungsverfahrens zu deren Bereitstellung auch an Dritte ausgelagert werden.
Service Ecosysteme stehen für Innovationsfähigkeit und Kulturwandel. In den behördenübergreifenden Leistungsnetzwerken wird mit dem Engagement intrinsisch motivierter Mitarbeitenden der vielfach zitierte Wandel nachhaltig von innen her angestossen und mitgetragen. Das bisher in behördlichen Zuständigkeitsinseln gekapselte fachliche Wissen und Können wird zu einer bedeutenden kollektiven Ressource für die Verwaltungsmodernisierung. Was Bogers et al. für Business Ecosysteme hervorstreichen, trifft wohl stärker noch für die Public Service Innovation zu, da hier nicht die marktwirtschaftliche Konkurrenzsituation dazwischenfunkt23, sondern für alle beteiligten Akteure allein der gesetzliche Auftrag des Souveräns zählt: «(...) the core of innovation is the ability to create an ecosystem where people, organizations, and sectors can foster co-creation. It involves business [service] models – the logic of creating and capturing value – that dynamically transcend organisational boundaries within that innovation ecosystem».24
Fassen wir zusammen: Der Service Ecosystem-Ansatz von eCH für den öffentlichen Sektor (vgl. dazu die Übersicht an bereits vorliegenden eCH-Standards in eCH-0203 Ergebnisübersicht Vernetzte Verwaltung Schweiz (2021))
- gründet auf ein demokratisch legitimiertes Wertesystem und den damit verbundenen staatlichen Organisationsprinzipien sowie auf einer föderal geprägten Kultur mit darin eingebetteten Fähigkeiten zur Selbstorganisation und -koordination.
- reduziert die organisatorische und technische Gestaltungskomplexität der verwaltungsübergreifenden Zusammenarbeit (Vielzahl von Akteuren, hochgradige Kompetenz- und Arbeitsteilung, heterogenen IT-Landschaften) in einem kohärenten Systemansatz und dies unter Wahrung von rechtsstaatlichen und föderalen Anforderungen und Rahmenbedingungen.
- ist aufgrund der generischen Gestaltungsqualität des Verwaltungsverfahrens auf nahezu alle Informations- und Transaktionsbeziehungen zwischen Behörden und Kund:innen anwendbar. Dies ist angesichts der Vielzahl und Vielfalt von zumeist über mehrere föderalen Ebenen erbrachten hoheitlichen Behördenleistungen25 von zentraler Bedeutung.
- kann auf der Basis einer gemeinsam getragenen Vision und Umsetzungsstrategie sowohl top down als auch bottom up in Eigenregie von Gemeinden, Kantonen und Bundesstellen in lokalen, regionalen sowie bundesweiten Transformationsprojekten praxisnah vervielfältigt werden.26
- beruht auf einer gleichwertigen Partizipation und hierarchiearmen, flachen Governance aller beteiligten Akteure bei der Staatsebenen übergreifenden Steuerung und Orchestrierung von Leistungsnetzwerken.
- mobilisiert durch die organisations- und fachübergreifende Zusammenarbeit in Service Ecosystemen die kollektiven Wissensressourcen der Mitarbeitenden und steigert dadurch die Innovationsfähigkeit, Produktivität und Resilienz des öffentlichen Sektors.
Weiter verbindet er die strategischen Anforderungen der Verwaltungsdigitalisierung mit architekturrelevanten Gestaltungsgrundsätzen:
- Kund:innenorientierung durch behördenübergreifende Service Orchestrierung
- Flexibilität, Agilität und Resilienz durch modulare Leistungsarchitekturen
- Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit durch leistungs- und prozessübergreifend verwendbare Geschäfts-komponenten, Funktions- und IT-Bausteinen (building blocks).
Umsetzung Digitale Verwaltung Schweiz
Die strategische und methodische Bedeutung sowie Praxistauglichkeit von Service Ecosystemen für die Digitale Transformation der Verwaltung in der Schweiz wird durch bereits etablierte Vorzeigeportale wie EasyGov, eUmzugCH oder eBau bestätigt. EasyGov (vgl. Hrsg. SECO: Studie Architekturreview EasyGov (2022)) und eUmzugCH (vgl. Referate an eCH-Abendveranstaltung 2018) stützen sich ausdrücklich auf die von eCH publizierten Basiskonzepte und Standards zur Service Orientierung.
Die mit EasyGov und weiteren Behördenportalen gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse liessen sich rasch für die dringend benötigte Konsolidierung der E-Government Architektur Schweiz27 nutzen, die im Einklang mit den Modernisierungspostulaten der Digitalisierungsstrategie konsequent als Service Ecosystem-Architektur zu positionieren wäre. Eben wurde der unter der Federführung der Bundeskanzlei(Bereich DTI) erarbeitete Entwurf einer eCH-0279 Architekturvision 2050 zuröffentlichen Stellungnahme freigegeben. Es wird sich weisen, inwiefern darin die bereits genehmigten eCH-Standards zu einem interföderalen Geschäftsmodell aufder Grundlage modularer Leistungsarchitekturen adäquat eingearbeitet und substanziell weiterentwickelte worden sind.
Der interföderale Service Ecosystem-Ansatz von eCH ist im Unterschied zur scheinbar wertneutralen, globalen Digitalisierungsagenda GovTech der Welt Bank durch demokratische Staatlichkeit legitimiert. Föderale Anforderungen und rechtsstaatliche Prinzipien fördern eine an den Anliegen der Bürger:innen ausgerichtete Verwaltungsmodernisierung. Dies belegen erfolgreiche praktische Umsetzungen wie z.B. das Unternehmensportal easyGov. Eine dem Kollegialprinzip (Art. 177 Abs. 1 BV) verpflichtete Leadership ist dabei der Schlüssel für eine zukunftsfähige Regierungsführung und Verwaltungsmodernisierung.28 Let’s go and do it!
Referenzen
1 Co-Creation bezeichnet im Kontext der Verwaltungsdigitalisierung einen neuen Design-Ansatz: Verschiedene Stakeholder (Bürger:innen, Unternehmen, Organisationen der Zivilgesellschaft) sollen in einem kollaborativen Prozess mit der Verwaltung ihr Wissen bei der Entwicklung und Bereitstellung von öffentlichen Leistungen einbringen. Vgl. Jarke, Co-Creating Digital Public Services (2020)
2 Vgl. The World Bank. Worldwide Government Indicators (2022), Blog (1)
3 Über Partizipation und Co-Creation als Schlüsselqualitäten der demokratischen Schweiz, vgl. ausführlich Vatter: Das politische System der Schweiz (2016)
4 zur integralen Architektur des Politik- und Verwaltungsvollzugs vgl. Blog (2), Abb. 3.
5 Vgl. eCH-0126 Rahmenkonzept „Vernetzte Verwaltung Schweiz“ (2013)
6 Vgl. die globale Digitalagenda der World Bank: GovTech – Putting People First
7 Vgl. Keynote von P. Giarritta, Beauftragter von Bund und Kantonen für die Digitale Verwaltung Schweiz, anlässlich des Swiss eGovernment Forums 2024
8 Vgl. Strategie Digitale Verwaltung Schweiz (2024-2027), S.9
9 Über die strategische Bedeutung von Geschäftsmodellen in der öffentlichen Verwaltung, vgl. Schaffroth (2023)
11 Das eCH-White Paper Vernetzte Verwaltung - Organisationskonzept für ein föderales E-Government wurde vom Informatikstrategieorgan Bund ISB und der Standardisierungsorganisation eCH im Auftrag des Eidg. Finanzdepartementes (EFD) 2010 erarbeitet und 2013 schweizweit als eCH-0126 Rahmenkonzept „Vernetzte Verwaltung Schweiz“ (2013) standardisiert.
12 Über GovStack und über den Building Blocks-Ansatz, hier weiterlesen
13 Vgl. Lenk et al. in eGov-Präsenz 01/2010. Vergleichbar wird in Business Ecosystemen das Customer-Frontend durch eine Line of Visibility vom Backend der multi-lateralen Wertschöpfung getrennt (vgl. Vetterling: Service-Design in Business Ecosystems, 2024)
15 weiterführende Literatur zu GaaP: Bender, Heine: Government as a Platform? Constitutive Elements of Public Service Platforms (2021); FITKO: Verwaltung. Digitalisierung. Plattform. Kurzstudie zur Koordination und Gestaltung der deutschen Verwaltungsdigitalisierung mit Plattformökosystemen (2021)
16 Vgl. eCH-0126 Rahmenkonzept „Vernetzte Verwaltung Schweiz“ (2013) sowie Schaffroth (2023)
17 Im Rahmen dieses Blogs ist es leider nicht möglich, die Ecosystem-Ansätze der vernetzten Verwaltung und der digitalen Wirtschaft miteinander zu vergleichen, vgl. dazu weiterführend Schaffroth (2023). Eine kompakte Darstellung des Business Ecosystem-Ansatzes findet sich bei Gassmann: Ecosystems. Entlang der Customer Journey zu Ecosystems (2022).
18 z.B. Brüggemeier, Röber: Neue Modelle der Leistungserstellung durch E-Government - Perspektiven für das Public Management (2011); Lenk: Verwaltungsdesign: die Gestaltung der technikdurchdrungenen Arbeitsorganisation und des Umgangs mit Information und Wissen (2015). Grundlegend: Köhl, Lenk et al.: Stein-Hardenberg 2.0. Architektur einer vernetzten Verwaltung mit E-Government (2014)
19 Zur Definition von Service Ecosystem bei Koskela-Huotari: «The concept of service ecosystem, is defined as “a relatively self-contained, self-adjusting system of resource-integrating actors connected by shared institutional arrangements and mutual value creation through service exchange” (Vargo & Lusch) (…)». Vgl. Koskela-Huotari, Service Ecosystems (2023) sowie Vink et al. Service Ecosystem Design: Propositions, Process Model, and Future Research Agenda (2021)
20 Vgl. ausführlicher in Schaffroth: Welche und wie viele Geschäftsmodelle braucht es für die Digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung - 45+ St. Galler-Service Modelle oder 1+ interföderales Geschäftsmodell von eCH? (2023)
21 Vgl. Vervest et al.: Smart Business Networks - a new Business Paradigm (2008), S.27
22Quellen zu Abb. 3 und Abb. 4: eCH-0126 Rahmenkonzept Vernetzte Verwaltung Schweiz, vom Autor erweiterte Darstellung, vgl. Schaffroth (2023)
23 Über den Umgang von marktwirtschaftlicher Konkurrenz und kollaborativer Wertschöpfung (coopetition) in Business Ecosystemen, vgl. Di Sibio: Competition vs collaboration: rethinking how businesses innovate and grow (2023)
24 Bogers et al.: Open innovation: Research, practices, and policies (2018)
25 Vgl. Übersicht in eCH-0070 Inventar der Leistungen der öffentlichen Verwaltung der Schweiz (2022)
26 Vgl. dazu den Praxisleitfaden eCH-0176 Referenzmodelle für eine „Vernetzte Verwaltung Schweiz“ (2014) sowie Schaffroth: eCH-Kooperationsmodell für die „Digitale Verwaltung“ (eCH-Artikel) (2018)
27 Digitale Verwaltung Schweiz, Strategisches Umsetzungsziel UZ 14 E-Government Architektur Schweiz, Budget 2020-2023: Total 550‘000.- CHF gemäss Angaben in Umsetzungsplan DVS 2022, Umsetzungsplan DVS 2023, Umsetzungsplan DVS 2024 (Budgetangaben fehlen)
Zum Autor
Marc Schaffroth, lic. phil. I, arbeitete bis 2021 beim Bereich Digitale Transformation und IKT-Steuerung DTI (Schweiz. Bundeskanzlei). In seinen Funktionen als Geschäftsarchitekt, Prozess- und Informationsmanager hat er u.a. Standardisierungsfachgremien des Standardisierungsvereins eCH geleitet. In seinem dreiteiligen Blogbeitrag hat er dargelegt, wie Politik, Regierung und Verwaltung, die im politischen System Schweiz verankerten und im globalen Vergleich überdurchschnittlichen institutionellen Stärken in einem gemeinsamen Narrativ als Trumpfkarte der Digitalen Transformation ausspielen können.